BFH Urteil I R 99/08 – Betriebsaufgabe bei Gewinnermittlung durch Ãœberschussrechnung
Keine „finale Betriebsaufgabe“ durch Betriebsverlegung ins Ausland – Betriebsaufgabe bei Gewinnermittlung durch Ãœberschussrechnung – Abgrenzung der Gewinne aus freiberuflicher Tätigkeit nach dem DBA-Belgien.
Die Verlegung des Betriebs eines selbständigen Erfinders in das Ausland (hier: nach Belgien) führt auch dann nicht zur Annahme einer (fiktiven) Betriebsaufgabe, wenn die künftigen Gewinne der ausländischen festen Einrichtung (Betriebsstätte) im Inland nicht steuerbar oder aufgrund eines DBA von der Besteuerung im Inland freigestellt sind (Änderung der Rechtsprechung: Aufgabe der sog. Theorie der finalen Betriebsaufgabe).
EStG 1990 § 4 Abs. 1 Satz 2, § 16 Abs. 3 Satz 1, § 18 Abs. 3, § 49 Abs. 1 Nr. 3
EStG 2002 i.d.F. des SEStEG § 4 Abs. 1 Satz 3
DBA-Belgien Art. 7, Art. 12 Abs. 3, Art. 13 Abs. 2, Art. 14 Abs. 1
Urteil vom 28. Oktober 2009 I R 99/08
Vorinstanz: FG Köln vom 18. März 2008 1 K 4110/04 (EFG 2009, 259)
Gründe
A.
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Streitpunkt ist, ob durch Wegzug und Verlegung des Unternehmens eines Erfinders nach Belgien im Streitjahr (1995) ein Aufgabe- und ein Ãœbergangsgewinn zu versteuern sind.
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Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde im Streitjahr zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt und erzielte Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Erfinder. Seinen diesbezüglichen Gewinn ermittelte er durch Einnahmen-Ãœberschussrechnung gemäß Â§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG 1990). Der Kläger war außerdem alleiniger Gesellschafter der K-GmbH mit Sitz in Deutschland und zu 95 % Gesellschafter einer gleichnamigen GmbH mit Sitz in der Schweiz. Seine Einkünfte als Erfinder erzielte er dadurch, dass er seine in seinem Einzelunternehmen gemachten Erfindungen u.a. diesen beiden Gesellschaften sowie anderen Unternehmen zur Nutzung überließ.
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Am 9. August 1995 verlegte der Kläger seinen Wohnsitz nach Belgien, von wo aus er sein Einzelunternehmen unverändert weiterführte. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) war nach einer Betriebsprüfung der Auffassung, der Umzug des Klägers nach Belgien habe zu einer Aufgabe des Einzelunternehmens geführt. Dementsprechend legte er der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr einen steuerbegünstigten Betriebsaufgabegewinn in Höhe von 50.000 DM zugrunde. Zusätzlich setzte das FA im Hinblick auf den Wechsel der Gewinnermittlungsart einen Ãœbergangsgewinn in Höhe von 312.250 DM an, beruhend auf Forderungen aus Lizenzverträgen mit der K-GmbH und mit einem britischen Unternehmen.
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Die deswegen beim Finanzgericht (FG) Köln erhobene Klage hatte Erfolg. Nach Auffassung des FG verstößt die Besteuerung des Aufgabe- und des Ãœbergangsgewinns gegen die im EU-Vertrag verbürgte Niederlassungsfreiheit. Sein Urteil vom 18. März 2008 1 K 4110/04 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2009, 259 abgedruckt.
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Gegen das FG-Urteil richtet sich die –vom Senat zugelassene– auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des FA.
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Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
8
Während des Revisionsverfahrens ist das Bundesministerium der Finanzen (BMF) dem Rechtsstreit beigetreten. Einen Sachantrag hat es nicht gestellt.
B.
9
Die Revision ist begründet und führt gemäß Â§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Zwar hat das FG im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die im Betriebsvermögen des Einzelunternehmens des Klägers ruhenden stillen Reserven nicht aufgrund des Wegzugs nach Belgien im Streitjahr aufzudecken und im Rahmen eines Aufgabegewinns zu versteuern waren; ebenso wenig war aus diesem Anlass ein Ãœbergangsgewinn zu ermitteln und zu besteuern. Jedoch lässt sich anhand der vorinstanzlichen Feststellungen nicht beurteilen, ob der Kläger nach dem Wegzug im Streitjahr noch Lizenzgebühren vereinnahmt hat, die zumindest teilweise der inländischen Besteuerung in diesem Jahr unterlagen.
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I. Die Verlegung von Betrieb und Wohnsitz des Klägers zum 9. August 1995 nach Belgien war keine Betriebsaufgabe.
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1. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1990 gehören die Einkünfte des Klägers aus seiner Erfindertätigkeit, die freiberuflicher Natur ist (Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 2. Juni 1976 I R 20/74, BFHE 119, 410, BStBl II 1976, 666; vom 31. Mai 2001 IV R 53/00, BFH/NV 2001, 1547, m.w.N.), zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit. Gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG 1990 rechnet zu diesen Einkünften auch der Gewinn, der bei der Veräußerung des Vermögens erzielt wird, das der selbständigen Arbeit dient. § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG 1990 erklärt u.a. die für die gewerbliche Tätigkeit geltende Bestimmung des § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG 1990 für entsprechend anwendbar. Nach dieser Bestimmung gilt als Veräußerung auch die Aufgabe des Gewerbebetriebs, auf die Einkünfte gemäß § 18 EStG 1990 erzielenden Steuerpflichtigen übertragen mithin die Aufgabe der selbständigen Arbeit.