BFH IX R 57/08 – Zur erstmaligen Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens – Zuflussprinzip bei Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften
Zur erstmaligen Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens
Werden Anteile an einer im Jahr 2001 gegründeten unbeschränkt steuerpflichtigen GmbH im Jahr 2001 veräußert und fließen dem Anteilseigner hieraus gemäß Â§ 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG steuerbare Einnahmen im Jahr 2002 zu, so unterliegen diese dem Halbeinkünfteverfahren.
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EStG § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3
Urteil vom 11. November 2009 IX R 57/08
Vorinstanz: FG Hamburg vom 29. Oktober 2008 1 K 190/06 (EFG 2009, 642)
Gründe
I.
1
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten. Der Kläger gründete Ende Februar 2001 mit zwei weiteren Gesellschaftern eine Service-GmbH. Der Kläger und ein weiterer Gesellschafter hielten jeweils 47 % der Geschäftsanteile und wurden zu Geschäftsführern bestellt, der dritte Gesellschafter hielt 6 % des Stammkapitals von 25.000 €. Gegenstand der Service-GmbH war es, der Betriebskrankenkasse B eine Callcenter-Dienstleistung zur Bewältigung ihrer Beitrittsnachfrage zur Verfügung zu stellen. Geschäftsjahr der Service-GmbH war das Kalenderjahr.
2
Ende Juni 2001 trafen der Kläger und die GmbH eine schriftliche Vereinbarung, wonach er zum 31. Juli 2001 als Gesellschafter ausscheiden und dafür 47 % des Gesamtergebnisses vor Steuern der GmbH bis zum 30. Juni 2002 (Streitjahr), basierend auf dem tatsächlichen fakturierten Gesamtumsatz des Callcenter-Auftrags mit der B erhalten sollte. Der Kläger verpflichtete sich, seine Geschäftsanteile zum Nennwert auf den weiteren zu 47 % beteiligten Gesellschafter zu übertragen. Diese Vereinbarung erklärten die GmbH und der Kläger mit Vereinbarung vom 15. Oktober 2001 für unwirksam. Nach der neuen Regelung sollte Bewertungsbasis für das Ausscheiden des Klägers 47 % des Geschäftsergebnisses vor Steuern der GmbH bis zum 31. Dezember 2001, wiederum basierend auf dem fakturierten Gesamtumsatz des Callcenter-Auftrags der B sein. Weiter sollten Abrechnungen vom 1. Januar 2002 bis 30. Juni 2002 mit einer festen Provision von 2.350 DM pro Monat und Callcenter-Agent vergütet werden. Mit notariellem Vertrag vom 15. Oktober 2001 übertrug der Kläger seine Geschäftsanteile zum Nennwert von 11.750 € auf den genannten Mitgesellschafter. Ein vom Kläger gegen die GmbH wegen Unstimmigkeiten über die Höhe der Zahlungsansprüche geführter Prozess vor dem Landgericht endete im März des Streitjahres mit einem Vergleich, wonach die Abfindungsansprüche für das Jahr 2001 ordnungsgemäß abgerechnet und geleistet sind: Für Januar 2002 erhält der Kläger 30.639,17 €, für die Zeit ab Februar 2002 für jeden über den Monat gegenüber der B eingesetzten und fakturierten Callcenter-Agenten 1.201,54 €. Der Abfindungsanspruch des Klägers ist befristet auf Callcentertätigkeiten bis zum 30. Juni 2002.
3
Der Kläger erhielt im Zusammenhang mit seinem Ausscheiden für das Streitjahr von der Service-GmbH Zahlungen in Höhe von insgesamt 240.905,17 € (30.639,17 € für Januar und jeweils 42.053,20 € für Februar bis Juni 2002).
4
Der Kläger erklärte die erzielten Einkünfte in einer Summe für das Jahr 2001 unter Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens als Veräußerungsgewinn nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Dem folgte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) nicht, sondern ging in den Einkommensteuerbescheiden für 2001 und 2002 von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. von § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in Höhe von 60.000 DM (2001) bzw. 228.223 € (2002) aus. Die Zahlungen seien im Jahr des Zuflusses zu versteuern. Das Halbeinkünfteverfahren sei nicht anzuwenden, da die Veräußerung schon im Jahr 2001 erfolgt sei. Der Bescheid für das Jahr 2001 ist bestandskräftig. Der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2002 blieb ohne Erfolg.
5
Mit der hiergegen gerichteten Klage beriefen sich die Kläger auf die Geltung des Halbeinkünfteverfahrens für den Gewinn aus der Veräußerung der Anteile an der Service-GmbH.
6
Im Klageverfahren ergab sich, dass dem Kläger im Streitjahr weitere 20.000 DM bzw. 10.225,84 € (Provision November 2001) zugeflossen sind. Das FA erließ daraufhin einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem entsprechend die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 238.448 € zugrunde gelegt wurden.
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Das Finanzgericht (FG) gab mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 642 veröffentlichten Urteil der Klage statt. Es entschied, der Gewinn des Klägers aus der Veräußerung seines GmbH-Anteils unterfalle § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 EStG und unterliege dem Grunde nach der Besteuerung nach dem Halbeinkünfteverfahren nach § 3 Nr. 40 Buchst. j i.V.m. § 3c Abs. 2 EStG. Das für die dem Grunde nach einheitliche Besteuerung des Veräußerungspreises i.S. von § 23 Abs. 3 EStG anzuwendende Recht bestimme sich nach dem wirksamen Abschluss des obligatorischen Vertrags, dies jedenfalls dann, wenn es sich nicht um zeitlich gestreckte Teilanteilsveräußerungsvorgänge handele. Das Jahr des Zuflusses stelle keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für das auf den Ertrag aus dem Veräußerungsgeschäft anzuwendende Recht dar. Danach betreffe der vom Kläger erzielte Veräußerungspreis i.S. der Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 4b Nr. 2 EStG zwar das Wirtschaftsjahr 2001. Da die Gesellschaft aber zu keiner Zeit dem Anrechnungsverfahren unterlegen habe, sei unabhängig von dem Zeitpunkt des obligatorischen Veräußerungsgeschäfts das Halbeinkünfteverfahren auch auf die Einkünfte des Anteilseigners aus der Veräußerung seiner Geschäftsbeteiligung anzuwenden.
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Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der dieses die Verletzung von § 52 Abs. 4b Nr. 2 EStG rügt. Das Zusammentreffen von GmbH-Gründung und Anteilsveräußerung im Jahr 2001 stelle einen Ausnahmefall dar, der im Rahmen der gesetzlichen Typisierung hinzunehmen sei.
9
Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
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