Kindergeld: Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung als Bezug des Kindes (BFH III R 74/07)
Kindergeld: Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung als Bezug des Kindes
Entstehen dem Kind als Folge eines Unfalls Aufwendungen zur Heilung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, die von der gesetzlichen Unfallversicherung nicht erstattet werden, ist die als Bezug anzusetzende Verletztenrente um diese Aufwendungen zu mindern.
EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
Urteil vom 17. Dezember 2009 III R 74/07
Vorinstanz: FG Hamburg vom 7. August 2007 1 K 15/05 (EFG 2008, 222)
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Gründe
I.
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Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog für seine im Jahr 1983 geborene Tochter (T) Kindergeld. T erlitt im November 2001 auf dem Schulweg einen schweren Unfall, den der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (Landesunfallkasse) als Arbeitsunfall anerkannte. Nachdem die Verletzungen verheilt waren und T wieder die Schule besuchte, trat bei ihr etwa ein Jahr nach dem Unfall als Folge der schweren Verletzungen eine erhebliche depressive Reaktion auf, die dazu führte, dass T den Anforderungen in der Schule nicht mehr gewachsen war. Die Psychologin, bei der T psychotherapeutisch behandelt wurde, regte zur Stärkung des Selbstbewusstseins und der Selbständigkeit von T einen Aufenthalt im Ausland an. T entschied sich für einen –von dem Anbieter (A) organisierten– Aufenthalt in Schottland von April bis August 2003. Soweit der Schottlandaufenthalt in die Schulzeit fiel, wurde T von der Schule beurlaubt. Der Zeitraum der Beurlaubung betrug weniger als vier Monate. Durch den Auslandsaufenthalt verlor T insgesamt ein Schuljahr und konnte ihr Abitur erst im Jahr 2004 –statt wie geplant im Jahr 2003– ablegen.
2
Während ihres Aufenthalts in Schottland arbeitete T als Kellnerin und erzielte hieraus Einnahmen in Höhe von 573,58 €. Die im Zusammenhang mit dem Aufenthalt in Schottland entstandenen Kosten in Höhe von 4.035 € (Organisation durch A 700 €, Wohnung 1.260 €, Verpflegungsmehraufwand 1.575 €, Flug 500 €) erstattete die Landesunfallkasse nicht, weil derartige Kosten im Leistungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung (Siebtes Buch Sozialgesetzbuch –SGB VII–) nicht vorgesehen seien.
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Da T durch den Unfall in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert war, setzte die Landesunfallkasse durch Bescheid vom 25. November 2003 eine am 15. November 2001 beginnende Rente als vorläufige Entschädigung fest und zahlte T im Jahr 2003 insgesamt 10.047,35 € aus. Hiervon entfielen 5.531,09 € auf die Jahre 2001 und 2002 und 4.516,26 € auf das Jahr 2003.
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Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob die Festsetzung des Kindergeldes für T durch Bescheid vom 16. Juni 2004 für die Monate Januar bis Dezember 2003 auf, weil die Einkünfte und Bezüge von T aufgrund der Rentennachzahlung den Jahresgrenzbetrag von 7.188 € überschritten. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) hob den Aufhebungsbescheid und die Einspruchsentscheidung durch Urteil vom 7. August 2007 1 K 15/05 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 222) auf. Die Kosten in Höhe von 4.035 € für den Schottland-Aufenthalt, der laut ärztlichem Gutachten vom März 2007 zur Genesung von T erforderlich gewesen sei, seien dem Jahresgrenzbetrag von 7.188 € hinzuzurechnen, weil T aufgrund des Unfalls einen über den allgemeinen Grundbedarf hinausgehenden zusätzlichen Bedarf gehabt habe. Die als Bezug zu behandelnde Rentennachzahlung in Höhe von 10.047,35 € liege unter diesem erhöhten Jahresgrenzbetrag. Auch ohne Erhöhung sei der Jahresgrenzbetrag aber nicht überschritten. Denn die Rentennachzahlung habe in Höhe der unfallbedingten Aufwendungen für den normalen Lebensunterhalt nicht zur Verfügung gestanden. Deshalb seien nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) die Kosten für den Schottlandaufenthalt von der Rentennachzahlung abzuziehen, so dass die Bezüge unterhalb des Jahresgrenzbetrags von 7.188 € lägen.
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Gegen die vom Kläger im Einzelnen dargelegten Kosten für den Schottlandaufenthalt bestünden der Höhe nach keine Bedenken. Die Familienkasse habe trotz Nachfrage nicht erklärt, welche der vom Kläger geltend gemachten Kosten sie bestreite.
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Die in Großbritannien zu versteuernden und in Deutschland dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Kellnerin seien nicht anzusetzen, da der Arbeitnehmerpauschbetrag in Höhe von 1.044 € (§ 9a des Einkommensteuergesetzes i.d.F. für das Streitjahr 2003 –EStG–) die Einnahmen in Höhe von 573,58 € übersteige.
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Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Außerdem seien die geltend gemachten Kosten nicht ausreichend nachgewiesen worden.
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Sie beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
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Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
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Nach im Ergebnis zutreffender Auffassung des FG übersteigen die Einkünfte und Bezüge von T den maßgebenden Jahresgrenzbetrag nicht.
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1. Unter weiteren –hier nicht streitigen– Voraussetzungen hat der Kindergeldberechtigte Anspruch auf Kindergeld für ein volljähriges Kind, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.188 € im Kalenderjahr 2003 hat (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).
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2. Die nach § 3 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerfreie sog. Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung gehört nicht zu den Einkünften, sondern in vollem Umfang zu den Bezügen (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 15. Oktober 1999 VI R 182/98, BFHE 189, 457, BStBl II 2000, 79, unter II. 4. c), da hierunter alle Zuflüsse in Geld oder Naturalleistungen fallen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden, also nicht steuerbare oder für steuerfrei erklärte Einnahmen (BFH-Urteil vom 26. September 2000 VI R 85/99, BFHE 192, 485, BStBl II 2000, 684, unter 2. b, m.w.N.).
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