Vorrang eines Auskunftsersuchens gemäß Â§ 93 AO gegenüber Vorlageverlangen nach § 97 AO (BFH II R 57/08)
Das FA darf im Besteuerungsverfahren eines Bankkunden von der Bank im Regelfall erst dann die Vorlage von Kontoauszügen als Urkunden i.S. von § 97 AO verlangen, wenn die Bank eine zuvor geforderte Auskunft über das Konto nach § 93 AO nicht erteilt hat, wenn die Auskunft unzureichend ist oder Bedenken gegen ihre Richtigkeit bestehen.
AO § 93, § 97 Abs. 2 Satz 1
Urteil vom 24. Februar 2010 II R 57/08
Vorinstanz: FG Köln vom 13. August 2008 4 K 4618/07 (EFG 2008, 1760)
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Gründe
I.
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Im Rahmen einer Außenprüfung forderte der Betriebsprüfer von A die Vorlage von Auszügen für das von ihr bei der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer Bank, unterhaltene Konto, um prüfen zu können, ob A aufgrund regelmäßiger Abhebungen von dem Konto genügend Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung gestanden hatten. Andernfalls waren nach Ansicht des Prüfers Hinzuschätzungen zu den von A erklärten steuerpflichtigen Einnahmen vorzunehmen.
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Da A die Kontoauszüge nach ihren Angaben nicht aufbewahrt hatte, verlangte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) von der Klägerin mit Verfügung vom 29. Juni 2007 gemäß § 97 Abs. 1 bis 3 der Abgabenordnung (AO) die Vorlage der Kontoauszüge für den Zeitraum August 2002 bis September 2004 in lesbar gemachter Form und führte aus, A sei einem Vorlageverlangen nicht nachgekommen. Eine Sachverhaltsaufklärung sei deshalb unmöglich.
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Die Klägerin lehnte die begehrte Vorlage unter Verweis auf § 97 Abs. 2 Satz 1 AO und ein bisher fehlendes Auskunftsersuchen nach § 93 AO ab.
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Zur Begründung der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage brachte die Klägerin vor, das FA habe das in § 97 Abs. 2 Satz 1 AO zum Ausdruck kommende Rangverhältnis zwischen den unterschiedlichen Formen des Eingriffs nicht eingehalten, obwohl insoweit kein Ermessen bestehe. Der Wortlaut der Norm gebe eine klare Reihenfolge der Beweismittel vor, wonach zunächst ein Auskunftsersuchen zu stellen sei. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit führe nicht zu einem Vorrang des Vorlageersuchens, da das FA mit einem Auskunftsersuchen genau diejenigen Informationen und Unterlagen erhalte, die es benötige. Das FA könne die vorgeschriebene Reihenfolge der Einholung von Beweismitteln nicht außer Acht lassen, um aus rein fiskalischen Motiven der Kostentragungspflicht bei Auskunftsersuchen zu entgehen.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1760 veröffentlichtem Urteil als unbegründet ab. Das FA habe ermessensfehlerfrei die Vorlage der angeforderten Kontoauszüge verlangt. Die Aufforderung vom 29. Juni 2007 stelle sich als isoliertes Vorlageersuchen dar, weil das FA Kontoauszüge für ein bestimmtes Konto und einen klar eingegrenzten Zeitraum verlangt habe. Die angeforderten Kontoauszüge seien für die Besteuerung anderer Personen als der Klägerin benötigt worden und erforderlich gewesen, weil zur Erstellung einer Geldverkehrsrechnung und zur Klärung, ob A über die erklärten Einnahmen hinaus weitere Einnahmen zuzurechnen seien, nur die Anforderung von Kontoauszügen und deren Prüfung geeignet gewesen sei.
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Mit ihrer Revision macht die Klägerin die Verletzung des § 97 Abs. 2 Satz 1 AO geltend.
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Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung sowie das Vorlageverlangen vom 29. Juni 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. November 2007 aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
9
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie des angegriffenen Vorlageverlangens in Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Die Vorentscheidung verletzt § 97 Abs. 2 Satz 1 AO. Entgegen der Auffassung des FG ist das Vorlageverlangen des FA ermessensfehlerhaft i.S. des § 102 Satz 1 FGO und somit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
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1. Dem FG ist zunächst darin zu folgen, dass das FA im Streitfall durch sein Schreiben vom 29. Juni 2007 ein Vorlageersuchen i.S. des § 97 Abs. 1 Satz 1 AO an die Klägerin gerichtet hat. Danach kann die Finanzbehörde von den Beteiligten und anderen Personen die Vorlage von Büchern, Aufzeichnungen, Geschäftspapieren und anderen Urkunden zur Einsicht und Prüfung verlangen. Sie hat dabei nach den Vorgaben des Satzes 2 der Vorschrift anzugeben, ob die Urkunden für die Besteuerung des zur Vorlage Aufgeforderten oder anderer Personen benötigt werden. Ein reines Vorlageverlangen i.S. des § 97 AO liegt (nur) dann vor, wenn keinerlei eigenes Wissen des in Anspruch Genommenen –als Vorfrage der Vorlage von Urkunden– abgefragt bzw. darauf (unausgesprochen) zurückgegriffen werden muss. Die begehrte Urkundenvorlage darf auch nicht inzident einer Auskunft gleichkommen, wie sie in anderen Verfahren ein Zeuge bekundet (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 24. März 1987 VII R 113/84, BFHE 149, 143, BStBl II 1988, 163; vom 8. August 2006 VII R 29/05, BFHE 214, 97, BStBl II 2007, 80). Hat das FA –wie im Streitfall– die vorzulegenden Unterlagen durch Nennung des betroffenen Kontos sowie des Vorlagezeitraums so konkret und eindeutig benannt, dass sich die geforderte Tätigkeit des Vorlageverpflichteten auf rein mechanische Hilfstätigkeiten wie das Heraussuchen und Lesbarmachen der angeforderten Unterlagen beschränkt, so liegt ein Vorlageverlangen i.S. des § 97 Abs. 1 Satz 1 AO vor (vgl. BFH-Urteil in BFHE 214, 97, BStBl II 2007, 80).
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2. Entgegen der Annahme des FG verstößt das streitbefangene Vorlageverlangen allerdings gegen § 97 Abs. 2 Satz 1 AO. Danach soll die Vorlage von Büchern, Aufzeichnungen, Geschäftspapieren und anderen Urkunden in der Regel erst dann verlangt werden, wenn der Vorlagepflichtige eine Auskunft nicht erteilt hat, die Auskunft unzureichend ist oder Bedenken gegen ihre Richtigkeit bestehen.
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