Finanzreform der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
Der Beschluss der Bundesregierung vom 22.09.2010 zu einer Finanzreform der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geht an den Bedürfnissen der Versicherten (Patienten und pflegebedürftige Menschen) komplett vorbei und darf in dieser Form nicht Gesetz werden.
Dazu erklärt Werner Schell als Vorstand von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk:
Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk hält grundsätzlich eine Gesundheitsreform für dringend geboten. Allein auf eine Finanzreform zu setzen, die im Wesentlichen auf eine Erhöhung der Abgabenlast setzt, kann aber nicht akzeptiert werden.
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Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk erwartet von einer Gesundheitsreform in erster Linie strukturelle Veränderungen in den verschiedenen Versorgungsbereichen. Insoweit wird vor allem als notwendig erachtet, dass den Wünschen und Bedürfnissen der Patienten und pflegebedürftigen Menschen folgend, in allen Bereichen der Gesundheits- und Pflegesysyteme eine gelebte menschenwürdige Versorgung und Pflege vorzufinden, Rechnung getragen wird. Daher sind vordringlich Maßnahmen zum Abbau des Pflegekräftemangels und – endlich – zum Ausbau der sprechenden Medizin überfällig. Statt weiterer Technisierung des Systems und Ãœberversorgung mit Arzneimitteln muss auf mehr menschliche Zuwendung gesetzt werden. Das seit Jahren vorherrschende Konzept „Ökonomisierung und Wettbewerb“ darf nicht weiter das Hauptanliegen der reformerischen Entscheidungsprozesse sein.
Das von der Bundesregierung beschlossene Finanzierungskonzept wird zwar möglicherweise kurzfristig die Kassen der Krankenkassen auffüllen helfen, aber im Rahmen der verordneten Sparauflagen auch neue Löcher in der Patientenversorgung reißen. Soweit nämlich die Krankenhausfinanzierung betroffen ist, werden die jetzt vorgesehenen Regelungen zu weiteren Einsparungen führen müssen. Und diese Einsparungen waren nach der Praxis der vergangenen 10 Jahre, in denen bereits mindestens rd. 50.000 Stellen für Pflegekräfte abgebaut worden sind, zu weiteren Stellenreduzierungen im Pflegebereich führen. Der bereits existierende Pflegenotstand wird sich drastisch verschärfen.
Eine Gesundheitsreform, die diesen Namen verdient, muss daher vorrangig den Pflegenotstand angehen und in diesem Zusammenhang ein bundeseinheitliches Personalbemessungssystem schaffen. Damit wäre eine nachvollziehbare Bewertung der gebotenen Stellenausstattungen für die Pflege gegeben. Wegen der Dringlichkeit solcher Maßnahmen wird von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk erneut eine Ausbildungs- und Einstellungsoffensive für die Pflege gefordert. Das wäre endlich einmal ein „Rettungsschirm“, der von keiner Seite kritisiert werden kann und den hilfe- und pflegebedürftigen Menschen unmittelbar zugute käme.
Die konsequente menschenwürdige Gestaltung unserer Gesundheits- und Pflegesysteme hat natürlich ihren Preis und wird auch finanzwirtschaftliche Erwägungen nicht entbehrlich machen. Aber bevor einfach die Versicherten zu höheren Abgaben herangezogen werden, müssen erst einmal strukturelle Maßnahmen ergriffen werden, die ein erhebliches Einsparpotential beinhalten. Es gibt in einigen Bereichen des Gesundheitssystems Ãœberkapazitäten und falsche Anreize für Dienstleistungen, die ohne Nachteile für die Versicherten zurückgeführt werden können. Solche Zurückführungen können sogar mit Rücksicht auf eine Minderung von „Risiken und Nebenwirkungen“ mehr als hilfreich sein. Es gibt aber auch klare Mangelsituationen, die nach systemischen Korrekturen verlangen (z.B. fehlende pflegerische Versorgung nach Krankenhausaufenthalten, mangelhafte fachärztliche Versorgung in Pflegeeinrichtungen, weiterhin Unterversorgungen in der Palliativversorgung und Hospizarbeit).
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Die im Bund und den Ländern politisch Verantwortlichen werden von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk aufgefordert, für die notwendigen strukturellen Veränderungen in den Gesundheits- und Pflegesystemen einzutreten und nicht zuzulassen, dass allein auf die „Finanzierungskarte“ gesetzt wird.
Der bundesweit ausgerichtete Neusser Pflegetreff am 16.11.2010 wird die „Gesundheitsreform“ thematisieren!
Werner Schell,
Dozent für Pflegerecht und Vorstand von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk
Quelle: openPR