Haftungseinschränkung bei mehrgliedrigen Geschäftsführungsorganen einer GmbH
Zugleich auch ein – inzidenter – Beitrag zur differenzierten (Nicht-)Haftung von Aufsichtsräten
Berlin: Mit am 24.11.2010 zugestelltem und begründetem Urteil vom 25.06.2010 zum Aktenzeichen 85 S 41/10 hat das Berliner Landgericht die von Trempel & Associates erstrittene Grundsatzentscheidung des Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg vom 08.09.2009 zu 6 C 118/09 bestätigt, wonach ein Mit-Geschäftsführer einer aus mehreren – im Fall 2 – Personen bestehenden Geschäftsleitung im Fall der Nichtabführung von Arbeitnehmer-Sozialversicherungsbeiträgen durch die Gesellschaft bzw. den „kaufmännischen“ oder auch „mit dieser Aufgabe qua Geschäftsverteilung betrauten Mit-Geschäftsführer nur bei Vorsatz haftet.
In der Praxis wird die Rechtsfrage im Zusammenhang mit einer Insolvenz relevant, in deren Zusammenhang die Sozialversicherungsträger gerne eine vom Gesetz nicht vorgesehene Garantiehaftung unterstellen oder vom Gesetzgeber bis heute nicht spezifizierte „Pflichtenkataloge“ aufstellen, die, soweit ihnen aufgrund eines pflichtwidrigen Unterlassens nicht genügt wird, eine höchstpersönliche Haftung der Verantwortlichen für ausgefallene Forderungen begründet, wenn das Unterlassen kausal für den Ausfall der Forderung war. Regelmäßig ist eine derartige Haftung nur in Bezug auf solche Verbindlichkeiten denkbar, die wie Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung oder aber Lohnsteuer, Umsatzsteuer etc. sowohl gesetzlichen Fälligkeitsregelungen unterliegen und darüber hinaus einer ausdrücklichen Haftungsanordnung. Der dem Urteil zugrunde liegende Fall betraf eine wiederkehrende und besonders ärgerliche Ausgangslage: Das Unternehmen hatte nicht über Monate Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt und auch sonstige Gläubiger nicht bedient, was aufgrund von Gläubigerreaktionen oder Vollstreckungshandlungen im Ergebnis auch aufgrund häufiger „Hausbesuche“ durch Gerichtsvollzier dem an sich nicht zuständigen Mit-Geschäftsführer auffallen muss zumal dieser nicht selten auch das Klagen seiner Mitarbeiter feststellen kann.
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Vielmehr ging es darum, dass der allein mit der Produktion betraute Geschäftsführer mit seiner Betriebsstätte fern ab vom Sitz der kaufmännischen Geschäftsleitung „saß“ und darüber hinaus nur in Bezug auf wenige Mitarbeiter und einzelne Saldendifferenzen Restforderungen bestanden, die dem Unternehmen in ihrer Gänze erst nach Insolvenzeröffnung mitgeteilt wurden. Ãœblicherweise unterstellen die lange vorher aufgrund der Regelanzeige tätigen Strafverfolgungsbehörden und Amtsrichter allein aufgrund der gesetzlichen „Fälligkeitsregelungen“, dass es auf die spätere Zusammenstellung und Ãœbermittlung von Saldendifferenzen für eine sowohl straf- als auch zivilrechtliche Haftung des Organvertreters gar nicht ankommt. Wie wenig dies mit den Besonderheiten des Falles und jeweils maßgeblichen Tatbestands gemein hat, wird durch die Klarheit der Entscheidung des Landgerichts Berlin unterstrichen, das zwischen dem objektiven Haftungstatbestand einerseits und dem darüber hinaus erforderlichen Vorsatz sorgfältigst zu unterscheiden ist. Ein nach dem Gesetz und der Rechtsprechung ausreichender „bedingter also nicht absichtlicher Vorsatz“ ist gesondert zu beweisen und festzustellen. Ab wann und unter welchen Umständen jedoch aufgrund eines Unterlassens, dh. der nicht vorbeugenden Kontrolle etwaiger Defizite durch die insoweit zur Krisenvorsorge verpflichteten Organvertreter und Geschäftsleitungen, ein bedingter Vorsatz anzunehmen oder von einem haftungsbefreienden Tatbestand auszugehen ist, bleibt der tatrichterlichen Sachentscheidung in jedem Einzelfall vorbehalten.
Hierbei bleibt es bedeutsam, etwaige Sachentscheidungen nicht abschießend den meist vorab entscheidenden Strafgerichten zu überlassen und diese rechtskräftig werden zu lassen. Nicht selten stellt sich erst Jahre nach einer Entscheidung eines Amtsrichters die tatsächliche Rechtslage als verbindlich heraus. In Steuerangelegenheiten ist dies die Regel.
Auch für amtierende Aufsichtsräte ist die an sich die Geschäftsleitung betreffende Entscheidung nicht unwichtig. Stellt doch das Landgericht mit seiner die mehrgliedrige Geschäftsleitung der GmbH betreffenden Entscheidung klar und deutlich fest, das der Vorsitz sich allein individuell ermitteln lässt und eine „Gesamtschuld“ nicht einfach aus der Organstellung zu unterstellen ist. Dies gebietet in Haftungssachen, die Aufsichtsräte betreffen, sowohl auf die persönlichen Verhältnisse des jeweiligen Aufsichtsrats zu achten wie auch auf die Stellung im Aufsichtsrat selbst sowie die Möglichkeiten des einzelnen Aufsichtsrats, die von der Geschäftsleitung (Vorstand) zu verantwortende Unternehmenspraxis zu kontrollieren. Dabei ist auch zwischen einer bereits am Markt tätigen und einer erst in Gründung befindlichen Unternehmung zu unterscheiden. Immer wieder wird beispielsweise Aufsichtsräten von gescheiterten „start ups“ von geldgierigen Insolvenzverwaltern die „Unternehmensplanung“ als Beweis dafür entgegen gehalten, dass das Vorhaben doch schon planmäßig in eine Liquiditätslücke steuern musste. „Dies sei auch dem weniger kompetenten Aufsichtsrat ohne weiteres erkennbar gewesen“. Wann und ob dies so war, bedarf der besonderen und sorgfältigen Prüfung. Die Entscheidung des Landgerichts Berlin trägt zu der gebotenen Differenzierung bei und gebietet den Gerichten, der eigenen Routine und den Bemühungen der „lediglich Urteile zitierenden Klagevertreter“ nicht ohne weiteres zu folgen.
Die Entscheidungsgründe wurden redaktionell durch Trempel & Associates bearbeitet und können gegen eine Schutzgebühr von 25.- € + Umsatzsteuer unter angefordert werden: Kennwort: Landgericht Berlin bestätigt AG Tempelhof-Kreuzberg“.
Quelle: openPR