Abzinsung von Gesellschafterdarlehen und Rückstellungen (BFH I R 35/09)
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2. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG 1997 sind Verbindlichkeiten unter sinngemäßer Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1997 anzusetzen und mit einem Zinssatz von 5,5 v.H. abzuzinsen. Diese Regelung greift im Streitfall ein.
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a) Nach der Rechtsprechung des Senats gilt § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG 1997 auch für Verbindlichkeiten aus Darlehen, die eine Kapitalgesellschaft von ihrem Gesellschafter erhalten hat (Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2009 I R 4/08, BFHE 226, 347). Die Einwendungen der Klägerin geben keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzurücken. Denn zum einen enthält der Gesetzeswortlaut keine Einschränkung im Hinblick auf Gesellschafterdarlehen. Zum anderen ist eine Sonderbehandlung solcher Darlehen auch nicht durch den Blick auf den Gesetzeszweck veranlasst: Die Abzinsung beruht auf der typisierenden Vorstellung, dass eine erst in der Zukunft zu erfüllende Verpflichtung den Schuldner weniger belastet als eine sofortige Leistungspflicht, und diese Ãœberlegung gilt für Gesellschafterdarlehen nicht anders als für sonstige Darlehensverhältnisse. Angesichts dessen kann insbesondere nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber es gleichsam versehentlich unterlassen hätte, im Hinblick auf Gesellschafterdarlehen eine Ausnahmeregelung zu schaffen. Das schließt die von der Klägerin angestrebte teleologische Reduktion des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG 1997 aus.
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b) Die Revision weist zu Recht darauf hin, dass die Abzinsung der Darlehensverbindlichkeit zu einem Ertrag und damit zu einer Erhöhung des steuerlich zu erfassenden Gewinns des Darlehensnehmers führt. Ihrer Annahme, dass diese Gewinnerhöhung im Zusammenhang mit Gesellschafterdarlehen durch den Ansatz einer verdeckten Einlage zu neutralisieren sei, ist aber nicht zu folgen. Vielmehr greift insoweit die Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) durch, nach der die Gewährung eines Nutzungsvorteils nicht Gegenstand einer verdeckten Einlage sein kann (BFH-Beschluss vom 26. Oktober 1987 GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348). Auch insoweit hält der Senat an seiner im Beschluss in BFHE 226, 347 vertretenen Ansicht fest.
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Die Rechtsprechung des Großen Senats des BFH ist nicht, wie die Klägerin meint, durch § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG 1997 überholt. Dazu ist zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des FG dazu zu verweisen, dass die für den Großen Senat tragenden Erwägungen (z.B. BFH-Beschluss in BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348, unter C.I.3.c) von der gesetzlichen Neuregelung nicht berührt werden und dass zudem bei Annahme einer verdeckten Nutzungseinlage die in § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG 1997 angelegte nachfolgende Aufzinsung der Darlehensverbindlichkeit ebenfalls neutralisiert werden müsste, wofür keine gesetzliche Grundlage erkennbar ist. Vor allem aber muss insoweit die Ãœberlegung durchgreifen, dass eine Abkehr von der Rechtsprechung des Großen Senats eine Vielzahl von Rechtsfragen betreffen und die steuerrechtliche Beurteilung von Vorgängen im Verhältnis zwischen Kapitalgesellschaft und Gesellschafter grundlegend verändern würde. Dass der Gesetzgeber mit § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG 1997 diese Rechtsfolge hat anordnen wollen, ist nicht anzunehmen. Vielmehr ist die genannte Regelung ersichtlich in die von der Rechtsprechung entwickelte Systematik eingebettet, was es ausschließt, die von ihr ausgelöste Gewinnerhöhung durch die Anwendung von Einlagegrundsätzen zu kompensieren.
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c) Der Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG 1997 steht im Streitfall nicht Satz 2 der Vorschrift entgegen. Danach sind zwar u.a. Verbindlichkeiten, die entweder verzinslich sind oder deren Laufzeit am Bilanzstichtag weniger als zwölf Monate beträgt, von der Abzinsung ausgenommen. Die Darlehensverbindlichkeiten der Klägerin erfüllen aber keine dieser beiden Voraussetzungen:
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aa) Nach den Feststellungen des FG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden und deshalb für den Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), waren die Gesellschafterdarlehen nicht mit einer Zinsvereinbarung verbunden. Einer solchen steht im Zusammenhang mit § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG 1997 nicht gleich, dass die Unverzinslichkeit eines Gesellschafterdarlehens wirtschaftlich durch erhöhte Ausschüttungen an den Gesellschafter ausgeglichen werden kann; auch insoweit verweist der Senat auf seinen Beschluss in BFHE 226, 347. Die von der Revision angestellten Erwägungen können ebenfalls nicht dazu führen, dass die in Rede stehenden Darlehen als „verzinslich“ anzusehen sind.
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Diese Erwägungen gehen im Kern dahin, dass die Gesellschafterdarlehen nur dazu bestimmt waren, der Klägerin den Ausbau des von ihr betriebenen Unternehmens zu ermöglichen; eine solche Zweckbindung stehe einer Verzinsungspflicht gleich. Daran ist zwar richtig, dass es für die „Verzinslichkeit“ eines Darlehens nicht nur auf die Nominalverzinsung ankommt, sondern insoweit auch andere mit der Darlehensgewährung verbundene Leistungspflichten des Darlehensnehmers bedeutsam sein können. Letztere rechtfertigen aber eine Bewertung der Darlehensverbindlichkeit unter dem Nennwert nur dann, wenn der Darlehensnehmer den Zinsvorteil zumindest zum Teil an einen anderen weitergeben muss (BFH-Urteil vom 9. Juli 1982 III R 15/79, BFHE 136, 299, BStBl II 1982, 639; ähnlich zum Bewertungsrecht BFH-Urteil vom 26. Oktober 1994 II R 2/92, BFH/NV 1995, 638). Daher ist eine bloße Zweckbindung nicht geeignet, einen die Verzinsung ersetzenden „Nachteil“ des Darlehensnehmers zu begründen; denn sie ändert nichts daran, dass der Zinsvorteil dem Darlehensnehmer ungeschmälert zugute kommt. Nur darum geht es jedoch im Streitfall, da weder die Feststellungen des FG noch die Revisionsbegründung Anhaltspunkte dafür enthalten, dass die Klägerin mit Rücksicht auf die Zinslosigkeit der Darlehen irgendwelche Leistungen an die Darlehensgeber oder an Dritte erbringen oder solche Leistungen verbilligt anbieten musste. Auf die Ãœberlegungen der Klägerin zur Motivation der Darlehensgeber muss in diesem Zusammenhang ebenso wenig eingegangen werden wie auf die Verwaltungspraxis im Bereich der Darlehen zur Regionalförderung (vgl. dazu Oberfinanzdirektion München, Verfügung vom 25. August 2000, Deutsches Steuerrecht 2000, 1690), die sich von den hier zu beurteilenden Vorgängen wesentlich unterscheiden.
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bb) Ob die Laufzeit eines Darlehens „weniger als zwölf Monate“ i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG 1997 beträgt, ist nicht allein nach zivilrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Vielmehr kommt es, wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, in erster Linie auf die tatsächlichen Verhältnisse an (Beschluss in BFHE 226, 347, m.w.N. zum Schrifttum; ebenso auch Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 6 EStG Rz 683; Werndl in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 6 Rz D 30). Deshalb ist eine Verbindlichkeit aus einem Darlehen mit unbestimmter Laufzeit gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG 1997 abzuzinsen, wenn der Darlehensvertrag zwar nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden kann (§ 609 BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung; § 488 BGB in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung), mit einer kurzfristigen Kündigung aber am Bilanzstichtag nicht ernstlich gerechnet werden muss. Auch daran ist festzuhalten.
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