BFH Urteil I R 114/08 – Schlussurteil Columbus Container Services – verstößt gegen Gemeinschaftsrecht – Gemeinschaftsrechtlicher Anwendungsvorrang
Schlussurteil „Columbus Container Services“: § 20 Abs. 2 und 3 i.V.m. §§ 7 ff. AStG a.F. verstößt gegen Gemeinschaftsrecht
1. Die sog. Umschaltklauseln des § 20 Abs. 2 und 3 AStG i.d.F. des Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21. Dezember 1993 setzen die fiktive Steuerpflicht der Betriebsstätteneinkünfte nach Maßgabe der §§ 7 ff. AStG voraus. Eine solche ist nicht gegeben, soweit eine Besteuerung nach §§ 7 ff. AStG gegen die gemeinschaftsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten verstößt.
2. Die §§ 7 ff. AStG i.d.F. des Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21. Dezember 1993 verstoßen gegen die in Art. 43 EG garantierte Niederlassungsfreiheit (Anschluss an die Urteile des EuGH vom 6. Dezember 2007 C-298/05 „Columbus Container Services“, Slg. 2007, I-10451, und vom 12. September 2006 C-196/04 „Cadbury Schweppes“, Slg. 2006, I-7995).
AStG i.d.F. des StMBG §§ 7 ff., § 20
AStG i.d.F. des JStG 2008 § 8 Abs. 2, § 20 Abs. 2
EG Art. 43, Art. 48
DBA-Belgien Art. 7 Abs. 1, Art. 22 Abs. 2, Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1
Urteil vom 21. Oktober 2009 I R 114/08
Vorinstanz: FG Münster vom 11. November 2008 15 K 1114/99 F,EW (EFG 2009, 309)
Gründe
I.
1
Es handelt sich um jenes Klageverfahren, das dem Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts (FG) Münster an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 5. Juli 2005 15 K 1114/99 F,EW (Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2005, 1512) sowie dem anschließenden Urteil des EuGH vom 6. Dezember 2007 C-298/05 „Columbus Container Services“ (Slg. 2007, I-10451) zugrunde lag:
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Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Kommanditgesellschaft („Commanditaire Vennotschap“) belgischen Rechts (BVBA & Co CV) mit Sitz in Belgien. Sie wurde im Streitjahr 1996 von der belgischen Steuerverwaltung als ein Koordinationszentrum im Sinne der Königlichen Verordnung Nr. 187 behandelt.
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Gesellschafter der Klägerin waren im Streitjahr acht in Deutschland ansässige Angehörige derselben Familie mit einem Anteil von jeweils 10 v.H. und eine deutsche Personengesellschaft, deren Anteile ebenfalls Mitgliedern dieser Familie gehörten, mit 20 v.H. In der Gesellschafterversammlung wurden alle Anteilsinhaber durch dieselbe Person vertreten.
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Die Klägerin gehört zu einer Unternehmensgruppe. Ihr Gesellschaftszweck war im Streitjahr die Koordinierung der Aktivitäten dieser Gruppe, u.a. die Zentralisierung der finanziellen Transaktionen und der Buchführung, die Finanzierung der Liquidität der Tochtergesellschaften oder Zweigniederlassungen, die elektronische Datenverarbeitung sowie Werbe- und Marketingaktivitäten. Ihre wirtschaftliche Tätigkeit bestand im Wesentlichen in der Verwaltung von Kapitalanlagen i.S. von § 10 Abs. 6 Satz 2 des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (Außensteuergesetz) i.d.F. des Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes (StMBG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) –AStG a.F.–. Durch diese Verwaltungstätigkeit erzielte sie im Streitjahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb sowie sonstige Einkünfte.
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Die belgische Steuerverwaltung besteuerte den von der Klägerin tatsächlich erzielten Gewinn im Streitjahr zu dem für Koordinationszentren geltenden Steuersatz, der sich konkret auf weniger als 30 v.H. belief.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) stellte die Einkünfte der als Kapitalanlagegesellschaft i.S. von § 10 Abs. 6 Satz 2 AStG a.F. behandelten Klägerin auf der Grundlage von § 20 Abs. 2 AStG a.F. gesondert und einheitlich fest. Er qualifizierte dabei die sonstigen Einkünfte der Klägerin als steuerfrei, aber dem Progressionsvorbehalt unterliegend. Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb bezog das FA –unter Anrechnung der darauf in Belgien erhobenen Steuer– in die Bemessungsgrundlage der Steuer ein. Zugleich stellte das FA den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1996 fest und bezog dabei das Vermögen der Klägerin nach Maßgabe von § 20 Abs. 3 AStG a.F. ein.
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Auf die dagegen erhobene Klage richtete das FG Münster durch seinen Beschluss in EFG 2005, 1512 gemäß Art. 234 Abs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) i.d.F. des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EG), sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1997 Nr. C-340, 1) an den EuGH die folgende Rechtsfrage:
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„Widerspricht es den Bestimmungen in Art. 52 EGV, jetzt Art. 43 EG, und in Art. 73b bis 73d EGV, jetzt Art. 56 bis 58 EG, wenn die Regelungen in § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG (a.F.) die Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter in der ausländischen Betriebsstätte eines im Inland unbeschränkt Steuerpflichtigen, die als Zwischeneinkünfte steuerpflichtig wären, falls die Betriebsstätte eine ausländische Gesellschaft wäre, entgegen dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regulierung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern vom 11. (April) 1967 (DBA-Belgien) nicht durch Freistellung der Einkünfte von der inländischen Besteuerung, sondern durch Anrechnung der auf die Einkünfte erhobenen ausländischen Ertragsteuer von der Doppelbesteuerung befreien?“