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BFH Urteil I R 114/08 – Schlussurteil Columbus Container Services – verstößt gegen Gemeinschaftsrecht – Gemeinschaftsrechtlicher Anwendungsvorrang


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aa) Die in §§ 7 ff. AStG a.F. vorausgesetzte Typisierung eines gestaltungsmissbräuchlichen Verhaltens widerspricht den Anforderungen der gemeinschaftsrechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit (Art. 43 i.V.m. Art. 48 EG), weil sie dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eines Gegenbeweises im Einzelfall vorenthält (s. zu diesem Erfordernis auch Senatsurteil vom 29. Januar 2008 I R 85/06, BFHE 220, 398, BStBl II 2008, 671, m.w.N.). Diese Möglichkeit wurde –allerdings unter Ausschluss von Gesellschaften mit Einkünften aus Kapitalanlagen (vgl. § 7 Abs. 6 AStG a.F./n.F.) und deswegen ggf. nach wie vor unter unzulänglichen Voraussetzungen (s. z.B. Vogt in Blümich, a.a.O., § 8 AStG Rz 154 ff.; Schnitger, IStR 2007, 729; Thielo/Szentpetery, BB 2008, 1984, 1990; Sedemund, BB 2008, 696, 697 f.; Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, a.a.O., Vor §§ 7 bis 14 AStG Rz 203 ff. und wiederholend § 8 AStG Rz 409; Haun/Käshammer/Reiser, GmbHR 2007, 184, 187; Köhler/ Eicker, DStR 2007, 331, 332; Hammerschmitt/Rehfeld, IWB, Fach 3, Gruppe 1, 2293, 2298 ff.)– erst (und erklärtermaßen wegen der andernfalls bestehenden Gemeinschaftsrechtswidrigkeit, s. BTDrucks 16/6298, dort S. 91 f.) im Anschluss an das EuGH-Urteil in Slg. 2006, I-7995, durch § 8 Abs. 2 AStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 2008 vom 20. Dezember 2007 (BGBl I 2008, 3058) –AStG n.F.– für Zwischeneinkünfte geschaffen, welche in einem Wirtschaftsjahr der Zwischengesellschaft entstanden sind, das nach dem 31. Dezember 2007 begann (§ 21 Abs. 17 Satz 1 AStG n.F.). Um solche Einkünfte geht es im Streitfall nicht.

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bb) Folge der aufgrund des Anwendungsvorrangs gemeinschaftsrechtlichen Primärrechts (und damit der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten) vor nationalem Recht verbindlichen gemeinschaftsrechtlichen Beurteilung durch den EuGH ist die Nichtanwendung der §§ 7 ff. AStG a.F. Allerdings wirkt sich der gemeinschaftsrechtliche Anwendungsvorrang nicht dergestalt aus, dass von der Hinzurechnungsbesteuerung gänzlich abzusehen ist. Die gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse sind vielmehr in die betroffenen Normen hineinzulesen (vgl. dazu zuletzt Senatsurteil vom 25. August 2009 I R 88, 89/07, DStR 2009, 2295, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, m.w.N.). §§ 7 ff. AStG a.F. sind deshalb gemeinschaftskonform und im Einklang mit den regelungsimmanenten Wertungen (vgl. dazu M. Lang, Steuer und Wirtschaft International 2009, 216, 224 f.) dahin zu interpretieren, dass dem Steuerpflichtigen der gemeinschaftsrechtlich gebotene „Motivtest“ über seine tatsächlichen wirtschaftlichen Aktivitäten im Einzelfall zu gewähren ist. Dies deckt sich letztlich mit der Vorgehensweise der Finanzverwaltung vor der Neuschaffung von § 8 Abs. 2 AStG n.F. im BMF-Schreiben in BStBl I 2007, 99 (s. auch Schönfeld in Flick/ Wassermeyer/Baumhoff, a.a.O., Vor §§ 7 bis 14 AStG Rz 321 f. und wiederholend § 8 AStG Rz 403).

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Im Streitfall bestehen nach den tatrichterlichen Feststellungen keine Zweifel daran, dass die Klägerin im Streitjahr aktiv, ständig und nachhaltig im Rahmen ihres Unternehmenszwecks am Wirtschaftsleben in Belgien teilgenommen, über entsprechend qualifiziertes Personal und geeignete Geschäftsräume und damit über genügend wirtschaftliche „Substanz“ verfügt und ihre Einkünfte aus eigener Tätigkeit erzielt hat. Auf diese Feststellungen, die den Senat binden (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–), ist Bezug zu nehmen. Das dagegen gerichtete Vorbringen des FA gibt ebenso wenig Anlass, diese Feststellungen und deren Würdigung in Frage zu stellen, wie die erwähnten, insoweit einschränkenden Erfordernisse nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2007, 99; diese werden den Vorgaben des EuGH-Urteils in Slg. 2006, I-7995 nicht vollen Umfangs gerecht. Der besagte „Motivtest“ wird von der Klägerin sonach bestanden; diese ging im Streitjahr im Sinne des EuGH-Urteils in Slg. 2006, I-7995 (dort Tz. 68) in Belgien einer „wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ nach und ist nicht als „eine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltung“ anzusehen (s. zuletzt auch wieder EuGH-Urteil vom 17. September 2009 C-182/08 „Glaxo Wellcome“, IStR 2009, 691).

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cc) Infolgedessen verbleibt es dabei, dass §§ 7 ff. AStG a.F. nicht eingreifen, wenn die von der Klägerin erzielten Einkünfte statt von einer Personengesellschaft –unter ansonsten gleichen Verhältnissen– von einer Kapitalgesellschaft erzielt worden wären. Mithin ist der Tatbestand des § 20 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 und 3 AStG a.F. im Streitfall nicht erfüllt. Die Rechtsfolge dieser Vorschrift tritt deshalb nicht ein, und zwar –entgegen dem nunmehr in § 20 Abs. 2 AStG n.F. enthaltenen Anwendungsausschluss von § 8 Abs. 2 AStG n.F. (und der dazu bekundeten Annahme des Gesetzgebers, vgl. BTDrucks 16/6290, S. 94)– ungeachtet dessen, dass der dort angeordnete Methodenwechsel von der Freistellung zur Anrechnung als solcher keine gemeinschaftsrechtlich beachtliche Diskriminierung oder Beschränkung nach sich zieht. Ob sich diese Konsequenz des gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsvorrangs hätte vermeiden lassen, wenn der angeordnete Methodenwechsel nicht von einer konkreten (fiktiven) Steuerpflicht gemäß §§ 7 ff. AStG a.F. –als „Rechtsgrundverweisung“ (s. Rehfeld, a.a.O., S. 473)– abhängig gemacht worden wäre, sondern –als „Rechtsfolgenverweisung“– von einem abstrakten Vorliegen der Voraussetzungen jener Vorschriften, kann dahinstehen. Der Gesetzgeber des Außensteuergesetzes in der hier maßgeblichen (ebenso wie der jetzigen) Gesetzesfassung ist diesen Weg nicht gegangen.

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d) Der Senat erachtet die aufgezeigte Gemeinschaftsrechtslage in Anbetracht des EuGH-Urteils in Slg. 2006, I-7995 als eindeutig. Einer (abermaligen) Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 EG –mit anderweitiger Fragestellung als jener des FG Münster in seinem Beschluss in EFG 2005, 1512– bedurfte es deshalb nicht (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 „C.I.L.F.I.T.“, EuGHE 1982, 3415, und zwar unbeschadet des EuGH-Urteils in Slg. 2007, I-10451; die darin vom EuGH gegebene Antwort resultiert ersichtlich allein aus der ihm im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens gestellten Frage, welche die tatbestandliche Verknüpfung zwischen § 20 Abs. 2 und 3 AStG a.F. einerseits und §§ 7 ff. AStG a.F. andererseits und die daraus abzuleitenden Konsequenzen nicht hinreichend verdeutlichte).



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