BFH Urteil I R 99/08 – Betriebsaufgabe bei Gewinnermittlung durch Ãœberschussrechnung
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Der Aufgabegewinn ist gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG 1990 durch Bestandsvergleich zu ermitteln. Diejenigen Selbständigen, die –wie der Kläger– ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG 1990 ermitteln, sind deshalb so zu behandeln, als wären sie im Augenblick der Betriebsaufgabe zunächst zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG 1990 übergegangen; das hat zur Folge, dass zunächst ein Ãœbergangsgewinn zu ermitteln und zu besteuern ist (vgl. BFH-Urteile vom 10. Juli 1973 VIII R 34/71, BFHE 110, 137, BStBl II 1973, 786; vom 14. November 2007 XI R 32/06, BFH/NV 2008, 385, m.w.N.).
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2. Eine Betriebsaufgabe liegt vor, wenn aufgrund eines Entschlusses des Steuerpflichtigen, den Betrieb aufzugeben, die bisher in diesem Betrieb entfaltete gewerbliche Tätigkeit endgültig eingestellt wird, alle wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang entweder insgesamt in das Privatvermögen überführt bzw. anderen betriebsfremden Zwecken zugeführt oder insgesamt einzeln an verschiedene Erwerber veräußert werden und dadurch der Betrieb als selbständiger Organismus des Wirtschaftslebens zu bestehen aufhört (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 9. September 1993 IV R 30/92, BFHE 172, 344, BStBl II 1994, 105; vom 26. April 2001 IV R 14/00, BFHE 195, 290, BStBl II 2001, 798; Schmidt/Wacker, Einkommensteuergesetz, 28. Aufl., § 16 Rz 173, jeweils m.w.N.). Es handelt sich bei der Betriebsaufgabe somit um einen Entnahmevorgang (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG 1990) in Form einer Totalentnahme (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 7. Oktober 1974 GrS 1/73, BFHE 114, 189, BStBl II 1975, 168). Diese Definition der Betriebsaufgabe gilt aufgrund der Verweisung in § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG 1990 grundsätzlich auch für die Aufgabe des freiberuflichen Betriebs (BFH-Urteil in BFHE 195, 290, BStBl II 2001, 798; Brandt in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, § 18 EStG Rz 387; Schmidt/Wacker, a.a.O., § 18 Rz 253).
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Wird ein Betrieb in andere Geschäftsräume verlegt, handelt es sich nicht um eine Betriebsaufgabe, selbst wenn die Verlegung mit einer vorübergehenden Betriebseinstellung verbunden ist (Senatsurteile vom 20. Dezember 1967 I 103/64, BFHE 91, 166, BStBl II 1968, 276; vom 3. Oktober 1984 I R 119/81, BFHE 142, 433, BStBl II 1985, 245; Blümich/Stuhrmann, EStG, KStG, GewStG, § 16 EStG Rz 334; Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 16 EStG Rz 416). Entscheidend ist, ob sich der ursprüngliche und der andernorts fortgeführte Betrieb bei wirtschaftlicher Betrachtung und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung nach den Verhältnissen des Einzelfalls als wirtschaftlich identisch darstellen (z.B. weil die Betriebsmittel oder das Wirkungsfeld oder die Kundschaft unverändert geblieben sind) und demgemäß eine Fortführung des bisherigen Unternehmens –eventuell unter Änderung der innerbetrieblichen Struktur oder der Rechtsform– anzunehmen ist (vgl. BFH-Urteile vom 19. April 1966 I 221/63, BFHE 85, 445, BStBl III 1966, 459; vom 24. Juni 1976 IV R 199/72, BFHE 119, 425, BStBl II 1976, 670; vom 28. Juni 2001 IV R 23/00, BFHE 196, 228, BStBl II 2003, 124).
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3. Im Streitfall liegt danach kein Fall der Betriebsaufgabe i.S. von § 18 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG 1990 vor. Denn nach den den Senat gemäß Â§ 118 Abs. 2 FGO bindenden und von den Beteiligten nicht angegriffenen Feststellungen des FG hat der Kläger seine bis zum August 1995 vom Inland aus ausgeübte Erfindertätigkeit nach dem Umzug nach Belgien von dort aus in identischer Form fortgeführt.
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4. Allerdings wird es nach der Rechtsprechung des BFH wie eine Betriebsaufgabe behandelt, wenn der Betrieb als wirtschaftlicher Organismus zwar bestehen bleibt, aber durch eine Handlung bzw. einen Rechtsvorgang in seiner ertragsteuerlichen Einordnung so verändert wird, dass die Erfassung der stillen Reserven nicht gewährleistet ist (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 114, 189, BStBl II 1975, 168; BFH-Urteile vom 12. April 1978 I R 136/77, BFHE 125, 157, BStBl II 1978, 494; vom 13. Dezember 1983 VIII R 90/81, BFHE 140, 526, BStBl II 1984, 474; vom 22. April 1998 XI R 28/97, BFHE 186, 210, BStBl II 1998, 665; vom 14. März 2007 XI R 15/05, BFHE 217, 438, BStBl II 2007, 924; Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 16 EStG Rz 437 f., m.w.N.). In ähnlicher Weise bestimmt jetzt der für das Streitjahr noch nicht anwendbare § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 i.d.F. des Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften vom 7. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2782, BStBl I 2007, 4), einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke stehe der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts gleich.
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5. Nach diesen Grundsätzen hat der Senat in der Vergangenheit eine Betriebsverlegung vom Inland in das Ausland als Betriebsaufgabe angesehen, wenn der Gewinn aus dem in das Ausland verlegten Gewerbebetrieb aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) nicht der inländischen Besteuerung unterliegt (sog. Theorie der finalen Betriebsaufgabe, vgl. Senatsurteile vom 28. April 1971 I R 55/66, BFHE 102, 374, BStBl II 1971, 630; vom 13. Oktober 1976 I R 261/70, BFHE 120, 225, BStBl II 1977, 76; vom 28. März 1984 I R 191/79, BFHE 141, 244, BStBl II 1984, 664 –die beiden letztgenannten Urteile betreffen die Verlegung der Wohnsitze von freiberuflichen Erfindern ins Ausland–). Das entsprach der mit Senatsurteil vom 17. Juli 2008 I R 77/06 (BFHE 222, 402, BStBl II 2009, 464) aufgegebenen sog. Theorie der finalen Entnahme, nach der die Ãœberführung eines Einzelwirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte zur sofortigen Gewinnrealisation führen sollte, wenn die ausländischen Betriebsstättengewinne aufgrund eines DBA von der Besteuerung im Inland freigestellt waren (Senatsurteile vom 16. Juli 1969 I 266/65, BFHE 97, 342, BStBl II 1970, 175; vom 24. November 1982 I R 123/78, BFHE 137, 59, BStBl II 1983, 113).
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6. Wendet man diese Grundsätze auf den Streitfall an, so ist ein Realisationstatbestand zu bejahen. Denn die nach der Betriebs- und Wohnsitzverlegung nach Belgien dort erwirtschafteten Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit unterfielen grundsätzlich schon nach innerstaatlichem Recht nicht der Besteuerung durch die Bundesrepublik Deutschland. Der Kläger war, weil er keinen inländischen Wohnsitz mehr hatte, nicht gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG 1990 unbeschränkt steuerpflichtig. Seine fürderhin durch die Tätigkeit in Belgien erwirtschafteten Gewinne waren –mit Ausnahme von Lizenzeinnahmen, die der Kläger von inländischen Lizenznehmern bezog (vgl. Senatsurteil vom 5. November 1992 I R 41/92, BFHE 170, 204, BStBl II 1993, 407)– keine Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die im Inland ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990), so dass insoweit kein Tatbestand der beschränkten Steuerpflicht eingriff. Auf eine Freistellung der Einkünfte nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern vom 11. April 1967 –DBA-Belgien– (BGBl II 1969, 18, BStBl I 1969, 39) kam es mithin für den Verlust der inländischen Besteuerungsmöglichkeit nicht an.