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BFH Urteil VII R 51/08 – Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist nach Steuerfestsetzung


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Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist nach Steuerfestsetzung – Ermessen bei der Änderung einer Anrechnungsverfügung – Verwaltungsakt – Anwendbarkeit des § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO bei Erstattung nicht abgeführter Steuern als Folge eines Aktien-„Luftgeschäfts“ – Kein genereller Vorrang der Rechtsrichtigkeit von durch unlautere Mittel erwirkten Verwaltungsakten vor dem Vertrauensschutz – Befugnis des Gesetzgebers zur Einräumung des Rechts auf Ermessenausübung – „Absolute“ Verjährungsfrist.


Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist nach Steuerfestsetzung – Ermessen bei der Änderung einer Anrechnungsverfügung

1. Die Änderung einer durch arglistige Täuschung eines fremden Dritten zugunsten des Steuerschuldners erwirkten Anrechnungsverfügung ist zulässig. Sie setzt jedoch eine Abwägung widerstreitender Gesichtspunkte voraus und verlangt eine diesbezügliche Ermessensentscheidung des FA.

2. Durch die Bekanntgabe der Steuerfestsetzung wird die Frist für die Zahlungsverjährung der festgesetzten Steuer in Lauf gesetzt. Eine Änderung der Anrechnungsverfügung nach Ablauf dieser Frist ist ungeachtet dessen, ob sie zu einer Erhöhung oder einer Verminderung der Abschlusszahlung oder einer Rückforderung erstatteter Steueranrechnungsbeträge führt, unzulässig.

AO § 5, § 130 Abs. 2, § 218 Abs. 2, § 220 Abs. 2, §§ 228, 229 Abs. 2
EStG § 36 Abs. 4 Satz 1, § 45a Abs. 3
KStG a.F. § 45

Urteil vom 27. Oktober 2009 VII R 51/08

Vorinstanz: FG Hamburg vom 19. November 2008 6 K 167/06 (EFG 2009, 540)

Gründe

I.
1
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), ein Kreditinstitut, hatte 1991 von dem Beigeladenen … Aktien cum Dividende erworben und noch am selben Tag, dem Dividendenstichtag, ex Dividende zurückveräußert, wobei bei Kauf und Verkauf zwischen dem Beigeladenen und der Klägerin zwei weitere Banken in der Verkaufskette zwischengeschaltet waren. In ihrer Körperschaftsteuererklärung 1991 machte die Klägerin unter Vorlage zweier von ihr erstellter Steuerbescheinigungen Steueranrechnungsbeträge von … DM aus Ausschüttungen auf vorgenannte Aktien geltend. Die Veranlagung ist insofern erklärungsgemäß erfolgt. Es wurde dabei die Körperschaftsteuer auf 0 DM festgesetzt und bei der Abrechnung u.a. anrechenbare Körperschaftsteuer, Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag entsprechend den vorgelegten Steuerbescheinigungen angesetzt, so dass ein Guthaben von rd. … Mio. DM ausgewiesen wurde.

2
Später ist der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) aufgrund von Feststellungen der Steuerfahndung zu der Auffassung gelangt, der der Klägerin von dem Kassenverein, der damaligen zentralen Depotbank der deutschen Kreditinstitute, gutgeschriebene Betrag von … DM (Nettodividende) könne nicht entsprechend der Steuererklärung der Klägerin als Dividende behandelt werden. Der Beigeladene –der vom FA als Haftungsschuldner nach § 71 der Abgabenordnung (AO) in Anspruch genommen worden ist– habe nämlich initiiert, dass in Wahrheit gar nicht existierende Aktien mit Dividende über mehrere Banken an die Klägerin und von dieser ohne Dividende an den Beigeladenen zurückveräußert worden sind, so dass Steuern erstattet wurden, die mangels tatsächlicher Dividendenausschüttung nicht gezahlt worden sind.

3
Das FA hat aufgrund dieser Feststellungen, gestützt auf § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO, die Anrechnungsverfügung mit Bescheid vom 30. Oktober 2001 geändert und von der Klägerin den Anrechnungsbetrag von … DM zurückgefordert. Als es hierüber zum Streit kam, hat das FA einen entsprechenden Abrechnungsbescheid erlassen, gegen den sich die vorliegende Klage richtet.

4
Das Finanzgericht (FG) hat über die Klage dem Antrag der Klägerin gemäß entschieden. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 540 veröffentlicht. Es beruht im Wesentlichen auf der Erwägung, dass die Anrechnungsverfügung, selbst wenn sie materiell-rechtlich unzutreffend gewesen sein sollte, nicht habe geändert werden dürfen, weil die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO, welche Vorschrift allein in Betracht käme, nicht vorlägen. Selbst wenn man nämlich unterstelle, dass die Klägerin durch den Erwerb der Aktien keine Einnahmen erzielt habe, sei die Anrechnungsverfügung von ihr nicht durch unlautere Mittel erwirkt worden; denn von der angeblich fehlenden Existenz der Aktien habe die Klägerin keine Kenntnis gehabt und auch keine Kenntnis haben können. Ob der an dem Anrechnungsverfahren nicht beteiligte Beigeladene die Anrechnung „erwirkt“ habe, etwa mittels der Klägerin als Werkzeug, sei zweifelhaft; denn Ob, Wann und Wie der Erstellung und Verwendung der Steuerbescheinigungen sei für ihn nicht bestimmbar und für seinen Geschäftserfolg wohl auch unerheblich gewesen.

5
Ferner scheide die vorgenannte Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck, Vertrauensschutz zu gewähren, aus, weil die Klägerin gutgläubig gewesen sei und sich ein arglistiges Verhalten des Beigeladenen nicht zurechnen lassen müsse. Denn eine solche Zurechnung widerspräche dem Sinn des § 130 Abs. 2 AO und verkehre das in der Vorschrift geregelte Regel-Ausnahme-Verhältnis in sein Gegenteil.



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