BFH Urteil VII R 51/08 – Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist nach Steuerfestsetzung
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des FA, das zunächst darauf hinweist, dass noch nicht geklärt sei, ob es bei Erlass eines Abrechnungsbescheids an eine vorherige Anrechnungsverfügung gebunden sei. Selbst wenn dies der Fall wäre, sei der Abrechnungsbescheid aber rechtmäßig, weil er auf § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO gestützt werden könne. Denn die Anrechnungsverfügung sei durch arglistige Täuschung des Beigeladenen erwirkt worden. Dieser habe ein Verkaufsgeschäft über Aktien abgeschlossen, obwohl ihm bekannt gewesen sei, dass diese Aktien nicht existierten, und er habe einen Kreislauf in Gang gesetzt, an dessen Ende die Ausstellung der Steuerbescheinigungen durch die Klägerin habe stehen müssen, die ursächlich seien für die rechtswidrige Anrechnung von Steuerbeträgen. Dies habe der Beigeladene auch erreichen wollen; denn nur dadurch sei für die Klägerin und die übrigen Beteiligten der Verkaufskette ein Gewinn entstanden.
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Die Klägerin müsse sich das Vorgehen des Beigeladenen zurechnen lassen. Es bestehe zwar kein besonderes Zurechnungsverhältnis zu ihm. Das sei aber auch nicht erforderlich. Der Steuerpflichtige müsse sich auch unlautere Mittel fremder Dritter zurechnen lassen (Hinweis auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 9. Oktober 1992 VI S 14/92, BFHE 169, 197, BStBl II 1993, 13). Für den Fall, dass die Unrichtigkeit eines Steuerbescheids durch unlautere Mittel erwirkt wurde, habe sich nämlich der Gesetzgeber für den Vorrang der materiellen Richtigkeit vor dem Vertrauensschutz entschieden.
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Zahlungsverjährung sei im Streitfall nicht eingetreten. Der Rückzahlungsanspruch des FA entstehe zwar in dem Zeitpunkt, in dem nicht geschuldete Erstattungsbeträge ausgezahlt werden. Er könne aber erst nach Festsetzung verwirklicht werden, so dass er gemäß Â§ 220 Abs. 2 Satz 2 AO nicht vor Bekanntgabe des betreffenden Verwaltungsakts fällig werde. Die geänderte Anrechnungsverfügung sei erst am 30. Oktober 2001 ergangen und habe den Anspruch zum 3. Dezember 2001 fällig gestellt. Die Frist der Zahlungsverjährung habe damit erst mit Ablauf des Jahres 2006 geendet.
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Die Klägerin hebt hervor, dass das FG nicht festgestellt habe, dass die Anrechnungsverfügung rechtswidrig gewesen ist. Es habe dies lediglich hypothetisch unterstellt und erkannt, dass selbst dann die Rücknahme der Anrechnungsverfügung und der angefochtene Bescheid rechtswidrig seien. Es habe zu Recht entschieden, dass die Anrechnungsverfügung weder von der Klägerin noch von dem Beigeladenen durch unlautere Mittel erwirkt worden ist. Denn der Beigeladene sei nicht in das Besteuerungsverfahren einbezogen gewesen und habe nicht auf den Willen des FA eingewirkt. Es habe sich für ihn um ein völlig normales An- und Verkaufsgeschäft an der Börse gehandelt.
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Selbst wenn er aber unlauter gehandelt haben sollte, sei sein Verhalten der Klägerin nicht zuzurechnen. Ohne eine solche Zurechnung sei aber entgegen der Auffassung des FA eine Änderung der Anrechnungsverfügung nicht zulässig. Die Rechtsprechung des BFH habe in zahlreichen Entscheidungen –auch zu vergleichbaren Vorschriften– auf eine solche Zurechnung oder zumindest ein Näheverhältnis zwischen Täuschendem und Begünstigtem abgestellt. Bei dem Beschluss in BFHE 169, 197, BStBl II 1993, 13 sei dies zwar nicht deutlich; der VI. Senat habe jedoch die Frage der Zurechenbarkeit überhaupt nicht problematisiert.
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Die Zurechenbarkeit aufgrund eines Vertretungs- oder anderweitigen Näheverhältnisses werde im Ãœbrigen nicht nur in den Vorschriften der AO, sondern auch in anderen Gesetzen, wie z.B. § 48 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) oder im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) allgemein verlangt. Selbst wenn man sie jedoch nicht für erforderlich halte, sei jedenfalls im Streitfall das Ermessen des FA dahin auf Null reduziert gewesen, dass eine Rücknahme der Anrechnungsverfügung nicht zulässig gewesen sei, weil die Klägerin keine Kenntnis vom Handeln des Beigeladenen gehabt habe; deswegen müsse der Vertrauensschutz gegenüber dem Interesse an der Anrechnung Vorrang erhalten.
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Im Ãœbrigen sei der Rückforderungsanspruch aber auch zahlungsverjährt. Nicht § 220 Abs. 2 Satz 2 AO, sondern § 220 Abs. 2 Satz 1 1. Alternative AO sei nämlich einschlägig. Erstere Vorschrift setze voraus, dass der betreffende Anspruch von Gesetzes wegen einer Festsetzung bedürfe. Das sei aber bei dem hier strittigen Erstattungsanspruch nicht der Fall; er könne in einem Abrechnungsbescheid festgesetzt werden, müsse dies aber nicht.
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Der Beigeladene hebt hervor, das FG habe nicht festgestellt, dass es sich bei dem Aktienerwerb um ein „Luftgeschäft“ über nicht existierende Aktien gehandelt hat. Das FG habe dies vielmehr nur unterstellt und überzeugend dargelegt, dass auch dann der Abrechnungsbescheid rechtswidrig wäre.
II.
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Die Revision des FA ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das Urteil des FG verletzt zwar Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO), ist aber im Ergebnis richtig (§ 126 Abs. 4 FGO).
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1. Der erkennende Senat hat mehrfach entschieden, dass in einem Abrechnungsbescheid i.S. des § 218 Abs. 2 AO von dem Regelungsgehalt einer zuvor erlassenen Anrechnungsverfügung zu Lasten des Steuerpflichtigen nur dann abgewichen werden darf, wenn die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO vorliegen, eine Anrechnungsverfügung also für einen späteren Abrechnungsbescheid Tatbestandswirkung hat (vgl. Urteile des Senats vom 16. Oktober 1986 VII R 159/83, BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405; vom 15. April 1997 VII R 100/96, BFHE 182, 506, BStBl II 1997, 787, und vom 26. Juni 2007 VII R 35/06, BFHE 218, 10, BStBl II 2007, 742). Die in einer Anrechnungsverfügung getroffene Regelung darf vom FA in einem Abrechnungsbescheid nicht voraussetzungslos geändert und dadurch im Ergebnis ihres Charakters einer mit Rechtswirkung nach außen ausgestatteten Entscheidung über das beraubt werden, was auf die festgesetzte Steuerschuld kraft Gesetzes (§ 36 des Einkommensteuergesetzes –EStG–; vgl. insofern Beschluss des Senats vom 13. Januar 2005 VII B 147/04, BFHE 208, 404, BStBl II 2005, 457) anzurechnen ist und was nicht (Verwaltungsakt, § 118 AO).
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Mit dieser Rechtsprechung, an der festzuhalten ist, weicht der Senat nicht in entscheidungserheblicher Weise von den Urteilen des BFH vom 28. April 1993 I R 100/92 (BFHE 171, 397, BStBl II 1993, 836) und vom 28. April 1993 I R 123/91 (BFHE 170, 573, BStBl II 1994, 147) ab.