BFH Urteil X R 6/08 – Beschränkte Abziehbarkeit von Altersvorsorgeaufwendungen und von sonstigen Vorsorgeaufwendungen verfassungsgemäß
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In den Altersvorsorgeaufwendungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG sind nicht nur Beiträge enthalten, die der Absicherung des Steuerpflichtigen für den Fall der Erwerbsunfähigkeit und des Alters sowie der Absicherung seiner Hinterbliebenen dienen. Die Beiträge haben daher nicht ausschließlich Werbungskostencharakter.
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Die gesetzliche Rentenversicherung gewährt nach dem Grundsatz „Rehabilitation vor Rente“ auch Leistungen der medizinischen Rehabilitation und der Teilhabe am Arbeitsleben, wenn hierdurch die Erwerbsfähigkeit wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann (§ 9 Abs. 1 des Sechsten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung –SGB VI–). Das Leistungsspektrum ist im Zweiten Unterabschnitt des Zweiten Kapitels des SGB VI in den §§ 13 bis 32 geregelt. Der Beitragsanteil, der diese Leistungen finanziert, stellt keine vorweggenommenen Werbungskosten dar, weil die erhaltenen Leistungen nicht zu steuerpflichtigen Einnahmen führen (vgl. z.B. für das Ãœbergangsgeld gemäß §§ 20 f. SGB VI § 3 Nr. 1 Buchst. c EStG). Dasselbe gilt für den Zuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung, den ein freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherter Rentner gemäß § 106 SGB VI erhält und der nach § 3 Nr. 14 EStG steuerfrei ist. Die einheitliche Behandlung der Altersvorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben macht eine Beitragsaufteilung entbehrlich und dient damit der Praktikabilität.
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Hinzu kommt, dass die Altersvorsorgeaufwendungen nach Ansicht des erkennenden Senats eine „Doppelnatur“ (so auch Weber-Grellet, DStR 2004, 1721, 1725) haben. Sie gewähren bereits vor Eintritt des Rentenfalls Rechte, die einem Versicherungsschutz gleichkommen. Durch sie werden Anwartschaften begründet, die mit Abschluss der Erwerbsphase zu einer geldwerten Rechtsposition erstarken (BVerfG-Urteil in BVerfGE 105, 73, 124). Sie führen daher bereits in der Erwerbsphase in gewisser Hinsicht zu einer Vermögensbildung. Auch aus diesem Grund erscheint die Beibehaltung der Einordnung der Vorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben trotz des Systemwechsels zur nachgelagerten Besteuerung vertretbar.
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ddd) Die vorstehend dargestellten Erwägungen rechtfertigen die konstitutive Zuordnung der Altersvorsorgeaufwendungen zu den Sonderausgaben, zumal die oben dargestellten unterschiedlichen Rechtsfolgen zwischen der Behandlung als Werbungskosten oder als Sonderausgaben nicht besonders gravierend sind. Es handelt sich zudem eher um Ausnahmefälle, so dass vor allem vor dem Hintergrund der Praktikabilität die Nachteile hinzunehmen sind (a.A. Söhn, in: KSM, a.a.O., § 10 Rz E 327).
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c) Gegen die gesetzliche Begrenzung der steuerlichen Berücksichtigung der Altersvorsorgeaufwendungen auf 20.000 € bzw. 40.000 € in § 10 Abs. 3 Satz 1 und 2 EStG bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Es liegt weder ein Verstoß gegen das objektive noch gegen das subjektive Nettoprinzip vor.
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aa) Ein tragendes Strukturelement des Einkommensteuerrechts ist das objektive Nettoprinzip. Danach werden Einnahmen nicht brutto, sondern nur gekürzt um damit im Zusammenhang stehende Erwerbsaufwendungen der Besteuerung unterworfen (BVerfG-Entscheidungen vom 2. Oktober 1969 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, 58, und vom 23. Januar 1990 1 BvL 4-7/87, BVerfGE 81, 228). Zwar kennt das geltende Einkommensteuerrecht eine Reihe von Abzugsverboten für bestimmte Aufwendungen trotz betrieblicher bzw. beruflicher Veranlassung. Solche Abzugsverbote bedürfen jedoch stets eines besonderen, verfassungsrechtlich tragfähigen sachlichen Grundes (vgl. BVerfG-Urteil vom 9. Dezember 2008 2 BvL 1, 2/07, 1, 2/08, BVerfGE 122, 210, m.w.N.).
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Es kann dahingestellt bleiben, ob in dem Bereich der Sonderausgaben das Nettoprinzip überhaupt zum Tragen kommen kann. Da aber die Aufwendungen ohne die konstitutive Zuordnung zu den Sonderausgaben im Wesentlichen als Werbungskosten abziehbar gewesen wären, kann sich der Gesetzgeber durch eine von ihm gewählte anderweitige systematische Zuordnung nicht einer folgerichtigen Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben und damit der Geltung des objektiven Nettoprinzips entziehen (vgl. dazu auch BVerfG-Beschluss in BVerfGE 112, 268).
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Das objektive Nettoprinzip ist nicht verletzt, die gesetzliche Begrenzung des Abzugs der Altersvorsorgeaufwendungen in § 10 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStG auf den Höchstbetrag von 20.000 € (40.000 € im Falle von zusammenveranlagten Ehegatten) ist sachlich gerechtfertigt.
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Der Gesetzgeber hielt diese Begrenzung auf ein Volumen, das weit oberhalb der Höchstbeträge zur gesetzlichen Rentenversicherung liegt, zur Verhinderung von Missbräuchen für geboten (BTDrucks 15/2150, S. 22, 34). Dies ist jedenfalls nicht sachwidrig (ebenso Söhn, StuW 2003, 332, 336; Risthaus, DB 2004, 1329, 1331; Weber-Grellet, DStR 2004, 1721, 1726; a.A. Dreher, a.a.O., S. 121). Die Annahme, das Risiko des vorzeitigen Versterbens und der damit verbundene Totalverlust des eingezahlten Kapitals verhinderten einen Missbrauch (Sachverständigenkommission, a.a.O., S. 25; Söhn, FR 2006, 905, 911), ist jedenfalls nicht zwingend. Dorenkamp (Nachgelagerte Besteuerung von Einkommen, Schriften zum Steuerrecht, Bd. 78, 283) hat dargelegt, dass angesichts der Größenordnung der Belastungsunterschiede zwischen nachgelagerter und traditioneller Besteuerung die Umschichtung erheblicher Beträge in Rentenversicherungsprodukte jedenfalls bei jüngeren Steuerpflichtigen nicht auszuschließen sei. Es ist Sache des Gesetzgebers, die künftige Entwicklung von Sachverhalten zu beurteilen. Dabei kommt ihm ein weiter Prognose- und Einschätzungsspielraum zu (BVerfG-Urteil vom 10. Juni 2009 1 BvR 706/08, 1 BvR 814/08, 1 BvR 819/08, 1 BvR 832/08, 1 BvR 837/08, Neue Juristische Wochenschrift 2009, 2033, m.w.N. aus der BVerfG-Rechtsprechung).
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bb) Die nur beschränkte Abziehbarkeit von Altersvorsorgeaufwendungen verletzt nicht das aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) abzuleitende subjektive Nettoprinzip. Danach muss dem Steuerpflichtigen ein „staatsfreies Existenzminimum“ verbleiben. Bestimmte zwangsläufige Aufwendungen müssen, auch wenn sie in den Bereich der privaten Lebensführung fallen, steuerlich verschont werden (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 107, 27; vgl. auch zur steuerlichen Freistellung von Beiträgen zu privaten Versicherungen für den Krankheits- und Pflegefall BVerfG-Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125).