BFH V R 18/08 – Vorlage an den EuGH: Steuerpflichtige Leistung des Forderungskäufers beim Erwerb zahlungsgestörter Forderungen
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(4) Bei der Beantwortung der Auslegungsfrage ist auch der allgemeine Auslegungsgrundsatz von Bedeutung, nach dem Steuerbefreiungen als Ausnahme eng und Ausnahmen von der Steuerfreiheit wie z.B. der Einziehung von Forderungen wiederum weit auszulegen sind (EuGH-Urteil MKG in Slg. 2003, I-6729, BStBl II 2004, 688 Rdnrn. 62 f. und 72). Eine derartige Auslegung würde aber dazu führen, dass Forderungsübertragungen bei einem Forderungsverkauf zu einem Kaufpreis unter dem Nennwert nur dann steuerfrei wären, wenn der Forderungseinzug beim Verkäufer der Forderung verbleibt, wie es z.B. auf eine sog. stille Zession, die gegenüber dem Schuldner der Forderungen nicht offengelegt wird, zutrifft. Fraglich ist, ob –selbst unter Beachtung des Grundsatzes enger Auslegung der Steuerbefreiungen– eine derartige Auslegung einem Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der Richtlinie 77/388/EWG möglicherweise zu entnehmenden Regel-Ausnahmeverhältnis entspricht.
Dem würde entsprechen, dass Forderungsübertragungen im Regelfall steuerfrei sein sollen und nur ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände, wie sie z.B. beim Factoring gegen ein von den Parteien vereinbartes Entgelt vorliegen, zu einer steuerpflichtigen Einziehungsleistung führen.
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(5) Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Auffassung der Klägerin und des FG, unter den Verhältnissen des Streitfalles fehle es an einer (entgeltlichen) Leistung des Forderungserwerbs an den Verkäufer, dazu führen würde dass selbst bei Ankauf und Einziehung zahlungsgestörter Forderungen über einen längeren Zeitraum die Tätigkeit (wegen Fehlens einer entgeltlichen Leistungstätigkeit) nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fiele.
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4. Zur zweiten Vorlagefrage
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Liegt eine dem Anwendungsbereich der Steuer unterfallende Leistung gegen Entgelt vor, ist im Streitfall weiter klärungsbedürftig, ob die Leistung des Forderungskäufers beim Erwerb zahlungsgestörter Forderungen steuerfrei ist.
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a) Der EuGH hat im Urteil MKG in Slg. 2003, I-6729, BStBl II 2004, 688 die durch den Forderungskäufer erbrachten Leistungen als steuerpflichtige Einziehung von Forderungen i.S. von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der Richtlinie 77/388/EWG angesehen (EuGH-Urteil MKG in Slg. 2003, I-6729, BStBl II 2004, 688, zweiter Leitsatz). Nach den Verhältnissen der Rechtssache MKG in Slg. 2003, I-6729, BStBl II 2004, 688 kam es dabei nicht auf eine Abgrenzung des nach dieser Bestimmung steuerpflichtigen Forderungseinzugs zu den nach Art. 13 Teil B Buchst. d der Richtlinie 77/388/EWG steuerfreien Bank- und Finanzdienstleistungen an. Denn Deutschland gestattet es den Steuerpflichtigen aufgrund der Ermächtigung in Art. 13 Teil C Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG, anstelle der Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil B Buchst. d der Richtlinie 77/388/EWG zur Steuerpflicht zu optieren. Diese Option hatte die Klägerin des Ausgangsverfahrens MKG in Slg. 2003, I-6729, BStBl II 2004, 688 ausgeübt, um den Vorsteuerabzug im größtmöglichen Umfang in Anspruch nehmen zu können, so dass sich in dieser Rechtssache die Frage nach der Abgrenzung einer nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der Richtlinie 77/388/EWG steuerpflichtigen Leistung zu einer nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 2 der Richtlinie 77/388/EWG steuerfreien Leistung nicht stellte.
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Eine Option zur Steuerpflicht liegt im Streitfall nicht vor, so dass im Streitfall anders als in der Rechtssache MKG in Slg. 2003, I-6729, BStBl II 2004, 688 die Frage zu beantworten ist, ob ein steuerpflichtiger Forderungseinzug oder eine steuerfreie Leistung vorliegen kann.
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b) Nach der Rechtsprechung des EuGH, der sich der Senat angeschlossen hat, gelten für die im Streitfall entscheidende Frage, unter welchen Bedingungen mehrere zusammenhängende Leistungen als eine Gesamtleistung zu behandeln sind, folgende Grundsätze (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 11. Juni 2009 C-572/07, RLRE Tellmer Property, BFH/NV 2009, 1368 Rdnrn. 17 ff., BFH-Urteile vom 25. Juni 2009 V R 25/07, BFH/NV 2009, 1746, unter II.2.b, und vom 17. April 2008 V R 39/05, BFH/NV 2008, 1712, unter II.2.b, m.w.N.):
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Jeder Umsatz ist in der Regel als eigenständige, selbständige Leistung zu betrachten; allerdings darf eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Deshalb sind die charakteristischen Merkmale des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob der Unternehmer dem Leistungsempfänger mehrere selbständige Leistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt, wobei auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist.
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Eine einheitliche Leistung liegt danach insbesondere dann vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile dagegen Nebenleistungen sind, die das steuerrechtliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.
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Das Gleiche gilt, wenn der Unternehmer für den Leistungsempfänger zwei oder mehr Handlungen vornimmt oder Elemente liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.
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c) Im Streitfall liegen hinsichtlich der Leistung des Forderungskäufers drei mögliche Leistungselemente vor, von denen nach Auffassung des Senats aber nur zwei steuerrechtlich von Bedeutung sind.
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aa) Wie der EuGH bereits im Urteil MKG in Slg. 2003, I-6729, BStBl II 2004, 688 entschieden hat, besteht die Leistung beim Forderungserwerb darin, dass der Käufer der Forderung den Verkäufer von der Einziehung der Forderungen und dem Risiko ihrer Nichterfüllung entlastet (EuGH-Urteil MKG in Slg. 2003, I-6729, BStBl II 2004, 688 Rdnr. 49).
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