BFH VII R 43/08 Insolvenzanfechtung der Zahlung der Organgesellschaft auf die Steuerschuld des Organträgers
Insolvenzanfechtung der Zahlung der Organgesellschaft auf die Steuerschuld des Organträgers
1. Bezahlt in einer umsatzsteuerlichen Organschaft die Organgesellschaft kurz vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen die Steuerschuld des Organträgers, so ist die Zahlung nach § 134 InsO anfechtbar, wenn die Steuerforderung gegenüber dem Organträger nicht werthaltig (uneinbringlich) war.
2. Hat die Organgesellschaft die Steuerschuld des Organträgers vor Fälligkeit bezahlt, obwohl der Organträger leistungsfähig war, ist diese Zahlung gegenüber dem FA nicht gemäß Â§ 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar, weil das FA nicht Insolvenzgläubiger ist.
3. Der Haftungsanspruch nach § 73 AO ist gegenüber dem Steueranspruch subsidiär, wenn feststeht, dass der Steuerschuldner zur Zahlung in der Lage ist. Der Tatbestand des § 73 AO wird ergänzt durch die Regelungen in § 191 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 5 AO. Danach setzt der Haftungsanspruch voraus, dass die Haftungsinanspruchnahme bei der gebotenen Ermessensausübung in Betracht kommt.
AO § 37 Abs. 2 Satz 1, § 73
InsO § 130, § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 134, § 143
UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2
Urteil vom 23. September 2009 VII R 43/08
Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg vom 4. Dezember 2007 5 K 1605/04 (EFG 2008, 481)
Gründe
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X-GmbH. Gesellschafter und Geschäftsführer der X-GmbH war der Beigeladene. Zwischen der X-GmbH (Organgesellschaft) und dem Beigeladenen (Organträger) bestand eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft.
Am 27. Februar 2003 zahlte die Organgesellschaft an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt –FA–) einen Betrag in Höhe von rund 41.000 € zur Begleichung der Umsatzsteuerschulden des Organträgers für den Monat Februar 2003. Am 28. Februar 2003 beantragte der Organträger beim Amtsgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft.
Mit Schreiben vom 16. Juni 2003 focht der Kläger gegenüber dem FA die am 27. Februar 2003 geleistete Zahlung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) an. Das FA sei Insolvenzgläubiger, da die Forderung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sei. Die Zahlung sei innerhalb des letzten Monats vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt. Das FA habe durch die Zahlung eine Befriedigung erlangt, auf die es zum damaligen Zeitpunkt noch keinen Anspruch gehabt habe.
Im Juli 2003 kam das FA der Aufforderung des Klägers, den Betrag in Höhe von rund 41.000 € an ihn auszukehren, zunächst nach.
Mit Bescheid vom 16. Juni 2004 forderte das FA den an den Kläger ausgezahlten Betrag jedoch zurück. Es berief sich dabei auf § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). Die (Rück-)Zahlung sei ohne rechtlichen Grund geleistet worden. Die Insolvenzanfechtung habe nicht zu einem Erstattungsanspruch des Klägers geführt, sondern wäre vielmehr gegen den Organträger zu richten gewesen.
Einspruch und Klage gegen den Rückforderungsbescheid blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt den Bescheid für rechtmäßig, weil der Kläger Leistungsempfänger und damit Erstattungsverpflichteter i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO gewesen und die Auszahlung an ihn im Juli 2003 ohne rechtlichen Grund erfolgt sei. Die Organgesellschaft habe den Betrag zunächst zur Tilgung der Umsatzsteuerschulden des Organträgers an das FA überwiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rückzahlung zur Insolvenzmasse gehabt, da die Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht vorgelegen hätten. Das FA sei nicht Insolvenzgläubiger gewesen, da es keinen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen die Organgesellschaft, die Insolvenzschuldnerin, gehabt habe. Denn diese habe keine eigene, sondern eine fremde Verbindlichkeit, nämlich die des Organträgers, getilgt. Die Insolvenzgläubigerschaft des FA folge auch nicht aus der Haftung der GmbH als Organgesellschaft für die Steuerschulden des Organträgers, weil die Umsatzsteuerschuld des Organträgers, für die die Organgesellschaft hätte haften können, durch deren Ãœberweisung vom 27. Februar 2003 getilgt worden sei.
Eine Anfechtung nach § 132 oder § 133 InsO komme ebenfalls nicht in Betracht, weil das FA zur Zeit der Zahlung weder die Zahlungsunfähigkeit der Organgesellschaft noch eine eventuelle Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Organträgers gekannt habe. Der Kläger habe auch keinen Rückgewähranspruch nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO. Denn erstattungsberechtigt sei danach der Steuerpflichtige, für dessen Rechnung die Zahlung geleistet worden ist. Entscheidend sei insoweit, dass die Organgesellschaft den Willen hatte, die Steuerschuld des Organträgers zu tilgen.