BFH VIII R 78/05 – Vorlagepflichten eines Berufsgeheimnisträgers (Rechtsanwalt, Steuerberater)
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b) Die übrigen Vorlageverlangen waren ausreichend bestimmt.
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aa) Die Forderung der Vorlage von „Eingangsrechnungen“ und „Ausgangsrechnungen“ ist eindeutig. Gründe für ein Ãœbermaß des Verlangens sind nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. In gleicher Weise gilt dies für die „Belege zu den baren Geschäftsvorfällen“, denn der Kläger hat die Existenz solcher Belege selbst erwähnt. Zwar sind derartige Barzahlungsbelege in unterschiedlicher Art denkbar, wie Quittungsdurchschriften, Kassenbons, Zahlungsvermerke auf Ausgangsrechnungen o.ä. Gerade wegen der unterschiedlichen Möglichkeiten war das FA aber nicht gehalten, ohne nähere Kenntnis die Art der Belege zu konkretisieren, sondern konnte es dem Kläger überlassen, die ihm bekannten einschlägigen Belege herauszusuchen. Ein ernstlicher Zweifel darüber, was das FA von ihm begehrte, konnte beim Kläger insoweit nicht entstehen.
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bb) Auch das Verlangen von „Kontoauszügen“ war noch hinreichend bestimmt. Nach Auffassung des Senats war unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls eine nähere Konkretisierung auch insoweit nicht geboten. Da die einkommensteuerlichen Verhältnisse des Klägers insgesamt zur Prüfung anstanden, der Kläger im Rahmen der Außenprüfung keine Kontounterlagen vorgelegt hatte und ersichtlich auch nicht gewillt war, solche Unterlagen vorzulegen, war zur Inhaltsbestimmung des Verwaltungsakts eine Unterscheidung in betriebliche oder private Konten oder eine Beschränkung auf eine Gruppe von Konten oder einzelne Konten nicht erforderlich.
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cc) Schließlich hält der Senat auch die Anforderungen von „Unterlagen über die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung“ und „Unterlagen über die Einkünfte aus Kapitalvermögen“ für noch hinreichend bestimmt im Hinblick darauf, dass der Kläger für die Streitjahre in seinen Einkommensteuererklärungen entsprechende Einkünfte angegeben hatte. Insoweit erfährt das beide Male weitgefasste Vorlageverlangen bei Anlegen eines objektiven Maßstabs eine Konkretisierung durch den Sachzusammenhang mit den abgegebenen Erklärungen. Es ging dem FA offensichtlich darum, die Richtigkeit der abgegebenen Erklärungen anhand von Unterlagen über Einnahmen und Ausgaben nachprüfen zu können. Aus der Sicht eines objektiven Betrachters hätte es dem Verlangen entsprochen, zumindest die wesentlichen Positionen an Einnahmen und Werbungskosten durch die dem Kläger bekannten Belege nachzuweisen.
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c) Da der Kläger die Vorlage von Unterlagen zuvor umfassend verweigert hatte, kann der Versuch des FA, über umfängliche Vorlageverlangen eine sachliche Prüfungsbasis zu schaffen, im konkreten Einzelfall nicht als unangemessen oder unverhältnismäßig angesehen werden. Das FA war nicht gehalten, die Steuererklärungen des Klägers prüfungslos zu akzeptieren (s. dazu unter II.3.b der Gründe dieses Urteils) oder sich statt des Bemühens um Sachaufklärung auf die Möglichkeit einer (ergänzenden) Schätzung von Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO verweisen zu lassen (vgl. BFH-Urteil vom 23. August 1994 VII R 143/92, BFHE 175, 309, 317, BStBl II 1995, 194, 198). Die Offenlegung steuererheblicher Vorgänge aus der Sphäre des Beteiligten, über die nur er Bescheid weiß oder doch am besten Bescheid weiß, ist im Allgemeinen zumutbar (Söhn in HHSp, § 90 AO Rz 106). Der Steuerpflichtige ist primärer Wissensträger und hat die größte Beweisnähe; ohne die verschiedenen Mitwirkungspflichten müsste eine gleichmäßige Durchsetzung der Steueransprüche nach Maßgabe der Gesetze scheitern (Söhn in HHSp, § 90 AO Rz 24).
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Entgegen dem pauschalen Einwand des Klägers ist nicht ersichtlich, mit welchen „milderen“ Mitteln das FA die Sachaufklärung im Rahmen der Außenprüfung hätte betreiben können und sollen.
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d) Die Rechtmäßigkeit der übrigen Vorlageverlangen wird nicht dadurch berührt, dass sie sich auch auf solche Unterlagen bezogen, für die keine Aufbewahrungspflichten bestanden, die also freiwillig aufbewahrt wurden (Eckhoff in HHSp, § 200 AO Rz 81; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 93 AO Rz 19; vgl. schon Beschluss des Großen Senats des BFH vom 13. Februar 1968 GrS 5/67, BFHE 91, 351, BStBl II 1968, 365 zu § 195 der Reichsabgabenordnung; a.A. Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 200 AO Rz 10; Drüen, Steuerberater-Jahrbuch 2006/2007, 273, 285 ff.). Dieses Gesetzesverständnis folgt dem Wortlaut des § 200 Abs. 1 Satz 2 AO, der keine Einschränkungen enthält, insbesondere keine Akzessorietät zu Aufbewahrungspflichten herstellt, wie dies etwa in § 147 Abs. 6 AO der Fall ist (vgl. dazu Senatsurteil vom 24. Juni 2009 VIII R 80/06, BFHE 225, 302). Der Ermittlung der Verhältnisse des Steuerpflichtigen dient die Anforderung von Urkunden auch dann, wenn keine entsprechende Aufbewahrungspflicht besteht, diese Urkunden aber vorhanden sind und folglich vorgelegt werden können (Eckhoff in HHSp, § 200 AO Rz 81). Dabei geht es nicht um eine unangemessene Benachteiligung des überobligationsmäßig aufbewahrenden Steuerpflichtigen, sondern um die Ermöglichung der Auswertung des Vorhandenen im Sinne der Gleichmäßigkeit der Besteuerung.
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e) Die Rechtmäßigkeit der übrigen Vorlageverlangen wie auch der darauf gegründeten Zwangsgeldfestsetzungen wird nicht dadurch berührt, dass dem Kläger zu einem späteren Zeitpunkt infolge der Beschlagnahme der Unterlagen deren Vorlage subjektiv unmöglich geworden ist.
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f) Auch der Umstand der nachfolgenden Einleitung eines Steuerstrafverfahrens stellt die Beurteilung der Vorlageverlangen nicht infrage. Die Einleitung des Strafverfahrens war dem FG offensichtlich nicht bekannt und ist als neuer Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren gemäß Â§ 118 Abs. 2 FGO nicht zu berücksichtigen (ständige Rechtsprechung, s. aus jüngerer Zeit BFH-Urteil vom 25. Januar 2005 I R 52/03, BFHE 209, 5, BStBl II 2005, 514; Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz 36, mit zahlreichen Nachweisen). Im Ãœbrigen entbindet das Steuerstrafverfahren den Steuerpflichtigen nicht von der Mitwirkungspflicht im Besteuerungsverfahren (Klein/Jäger, a.a.O., § 393 Rz 1), seine Mitwirkung kann nur nicht erzwungen werden. Im Streitfall ist das Zwangsmittelverbot nach § 393 Abs. 1 Satz 2 AO aber unerheblich, da die gegenüber dem Kläger angedrohten Zwangsgelder im Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens bereits vollzogen waren.
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