BFH XI R 71/07 – Vorsteuerabzug aus den Herstellungskosten einer in den Jahren 1993 und 1994 errichteten und steuerpflichtig vermieteten Sporthalle
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Dass sich die zutreffende rechtliche Beurteilung ggf. erst nach Ablauf der Streitjahre herausstellt, vermag daran nichts zu ändern. Der Steuerpflichtige hat ein Recht darauf, dass eine später gewonnene höchstrichterliche Rechtsauffassung zu seinen Gunsten auch auf seinen Fall angewendet wird, soweit der ihm gegenüber ergangene Umsatzsteuerbescheid rechtzeitig angefochten worden oder nach § 164 Abs. 2 AO noch änderbar ist. Beides trifft im Streitfall zu.
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c) Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht, dass durch das Gesetz zur Sicherstellung einer Ãœbergangsregelung für die Umsatzbesteuerung von Alt-Sportanlagen vom 1. September 2002 (BGBl I 2002, 3441) den Betreibern von Sportanlagen ein Wahlrecht eingeräumt worden ist. Nach dem durch dieses Gesetz eingefügten Abs. 6 des § 27 UStG 1999 können Umsätze aus einer Nutzungsüberlassung von Sportanlagen bis zum 31. Dezember 2003 in eine steuerfreie Grundstücksüberlassung und in eine steuerpflichtige Ãœberlassung von Betriebsvorrichtungen aufgeteilt werden. Von dieser Möglichkeit einer Aufteilung hat die Betreiberin im Streitfall Gebrauch gemacht.
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Dies wirkt sich jedoch nicht auf § 9 Abs. 2 UStG 1993 und die Frage aus, ob der Leistungsempfänger das Grundstück für steuerfreie oder steuerpflichtige Umsätze verwendet. Denn es handelt sich bei § 27 Abs. 6 UStG 1999 nicht um eine Vorschrift, die § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1993 ändert, sondern um eine –über den ohnehin nach § 176 AO bestehenden Vertrauensschutz hinausgehende– Billigkeitsregelung zugunsten der Betreiber von Sportanlagen in Reaktion auf die Änderung der bisherigen Rechtsprechung durch das Urteil in BFHE 194, 555, BStBl II 2001, 658.
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Durch die in den §§ 163, 227 AO vorgesehenen Billigkeitsmaßnahmen der Verwaltung werden Billigkeitmaßnahmen durch gesetzliche Ãœbergangsregelungen nicht ausgeschlossen (vgl. Frotscher in Schwarz, AO, § 163 Rz 44). Dem Charakter des § 27 Abs. 6 UStG 1999 als Billigkeitsregelung steht entgegen der Auffassung des FA auch nicht entgegen, dass der Finanzausschuss berichtet hat, die Fraktionen hätten den Weg einer Gesetzesänderung beschritten, weil dies den vielfältigen Fragen anlässlich der Rechtsprechungsänderung angemessener Rechnung trage als die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen. Damit wird lediglich auf die Alternative (Billigkeitsmaßnahme im Einzelfall statt allgemeiner Billigkeitsregelung in Gesetzesform) hingewiesen, nicht aber ausgesagt, dass die gesetzliche Ãœbergangsregelung keine Billigkeitsregelung darstellt.
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Der Zweck des § 27 Abs. 6 UStG 1999 beschränkt sich darauf, dass Steuerpflichtige sich weiterhin auf die frühere Rechtsauffassung berufen können, wenn es für sie vorteilhaft ist (vgl. BTDrucks 14/9543, S. 4). Die Vorschrift bezweckt nicht, Steuerpflichtigen eine Rechtsposition rückwirkend zu entziehen, die ihnen aufgrund der –geänderten– Rechtsprechung des BFH zusteht. Auch wenn der Wortlaut des § 27 Abs. 6 UStG 1999 eine andere Auslegung zuließe, wäre der Anwendungsbereich der Norm im Wege der teleologischen Reduktion auf die Umsätze des Anlagenbetreibers zu beschränken.
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d) Aber selbst dann, wenn § 27 Abs. 6 UStG 1999 entsprechend der Rechtsauffassung des FA so verstanden würde, dass damit § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1993 rückwirkend geändert werden sollte, wäre der Klage stattzugeben. In diesem Fall verstieße § 27 Abs. 6 UStG 1999 in einer den W belastenden Weise gegen das Gemeinschaftsrecht, so dass die Vorschrift nicht anzuwenden wäre. Denn nach dem EuGH-Urteil Stockholm Lindöpark in Slg. 2001, I-493 stehen Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m und Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG einer nationalen Regelung entgegen, die die Zuververfügungstellung von Räumen und anderen Anlagen sowie die Ãœberlassung von Geräten oder anderen Einrichtungen für die Ausübung von Sport und die Körperertüchtigung einschließlich der von Einrichtungen mit Gewinnstreben erbrachten Dienstleistungen allgemein von der Mehrwertsteuer befreit. Dementsprechend hat die Bundesregierung nach dem Ergehen des BFH-Urteils in BFHE 194, 555, BStBl II 2001, 658 zutreffend darauf hingewiesen, dass bei einem Festhalten an der bisherigen Regelung durch ein entsprechendes Gesetz ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorläge (vgl. BTDrucks 14/9325, S. 2). Nationale Vorschriften, die zu Lasten eines Steuerpflichtigen gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen, sind nicht anwendbar (vgl. z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1987 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223; EuGH-Urteil vom 9. März 1978 Rs. C-106/77 –Simmenthal–, Slg. 1978, 629; BFH-Urteil vom 16. April 2008 XI R 73/07, BFHE 221, 484).
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Darüber hinaus läge auch ein Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit vor. Diese Grundsätze lassen es nicht zu, dass dem Steuerpflichtigen das erlangte Recht auf Abzug von Vorsteuerbeträgen durch eine Gesetzesänderung rückwirkend genommen wird (vgl. EuGH-Urteile vom 8. Juni 2000 Rs. C-396/98 –Schloßstraße–, Slg. 2000, I-4279; vom 11. Juli 2002 Rs. C-62/00 –Marks & Spencer–, Slg. 2002, I-6325). Entgegen der Auffassung des FA würde bei der von ihm für zutreffend gehaltenen Auslegung des § 27 Abs. 6 UStG 1999 dem Steuerpflichtigen eine Rechtsposition entzogen. Denn daraus, dass –wie bereits oben ausgeführt– die Entscheidung des EuGH in der Rs. Stockholm Lindöpark in Slg. 2001, I-493 und die darauf beruhende Änderung der Rechtsprechung des BFH mit Wirkung für die Vergangenheit gelten („ex tunc“), folgt, dass die Option des W nicht nach § 9 Abs. 2 UStG 1993 ausgeschlossen war. Eben deshalb, weil die –ggf. geänderte– Rechtsprechung des BFH oder des EuGH auch mit Wirkung für die Vergangenheit gelten, hatte das Einspruchsverfahren des W beim FA im Hinblick auf das beim BFH anhängige Verfahren V R 97/98 gemäß § 363 AO geruht. Die günstige Rechtslage, die für W aufgrund der Rechtsprechung des BFH in dem Urteil in BFHE 194, 555, BStBl II 2001, 658 eingetreten war, konnte der Gesetzgeber ihm aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht rückwirkend entziehen.
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Die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes gelten auch für den Fall einer Einschränkung des Optionsrechts. Der EuGH hat mit Urteil vom 29. April 2004 Rs. C-487/01, C-7/02 –Gemeente Leusden und Holin Groep– (Slg. 2004, I-5337) ausgesprochen, dass der nationale Gesetzgeber nach Art. 13 Teil C der Richtlinie 77/388/EWG zwar die Möglichkeit hat, ein Optionsrecht wieder aufzuheben, mit der Folge, dass Vorsteuerbeträge nach Art. 20 der Richtlinie 77/388/EWG zu berichtigen sind. In einem solchen Fall haben aber die Mitgliedstaaten die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit zu beachten (Randnr. 57, m.w.N.).
Quelle: Bundesfinanzhof