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Ermittlungspflichten des FA vor einer öffentlichen Zustellung wegen "unbekannten Aufenthaltsorts" (BFH X R 54/06)


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a) Das FA hat den Einkommensteuerbescheid des Streitjahres nicht gemäß Â§ 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG a.F. i.V.m. § 122 Abs. 5 AO wirksam öffentlich zugestellt. Es ist nicht seiner Verpflichtung nachgekommen, im Vorfeld der öffentlichen Zustellung den Aufenthaltsort des Klägers mit allen zumutbaren und geeigneten Maßnahmen zu ermitteln.


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aa) Ein Steuerbescheid kann gemäß § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG a.F. i.V.m. § 122 Abs. 5 AO öffentlich zugestellt werden, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers „unbekannt“ ist. Wegen des Anspruchs des Zustellungsempfängers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, vgl. grundlegend Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Oktober 1987 1 BvR 198/87, Neue Juristische Wochenschrift 1988, 2361) ist die Zustellungsfiktion verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Form der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist. § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG a.F. setzt deshalb voraus, dass nicht nur der zustellenden Behörde die Anschrift des Zustellungsempfängers unbekannt, sondern dessen Aufenthaltsort allgemein unbekannt ist. Die öffentliche Zustellung ist erst als „letztes Mittel“ zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 13. Januar 2005 V R 44/03, BFH/NV 2005, 998, m.w.N.; vom 6. Juni 2000 VII R 55/99, BFHE 192, 200, BStBl II 2000, 560; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. April 1997 8 C 43.95, BVerwGE 104, 301; Engelhardt/App, VwVG/VwZG, 7. Aufl. 2006, § 10 VwZG Rz 3, m.w.N.).

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bb) Die Anforderungen an die Behörde, den Aufenthaltsort des Bekanntgabeadressaten ermitteln zu müssen, dürfen jedoch im Einzelfall nicht überspannt werden.

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aaa) Eine Rechtspflicht der zustellenden Behörde, Anschriften im Ausland zu ermitteln, wird in der Rechtsprechung daher regelmäßig verneint, wenn ein Fall der „Auslandsflucht“ vorliegt (vgl. die BFH-Entscheidungen in BFH/NV 2005, 998; vom 16. Januar 2001 VI S 25/00, BFH/NV 2001, 802) oder wenn sich der Empfänger beim inländischen Melderegister „ins Ausland“ ohne Angabe einer Anschrift abmeldet (vgl. z.B. die Entscheidungen des FG Düsseldorf vom 17. Februar 2006 1 K 2677/05, E, U, EFG 2006, 865; des FG München vom 17. Juni 2003 6 K 336/03, nicht veröffentlicht –n.v.–; des Bundespatentgerichts vom 7. Juli 2004 28 W (pat) 227/03, Mitteilungen der Deutschen Patentanwälte 2005, 131; des Bundesgerichtshofs –BGH– vom 8. Juni 1978 IX ZR 11/74, Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1978, 184, und Schwarz in Hübschmann/Hepp/ Spitaler –HHSp–, § 10 VwZG Rz 18). Dem schließt sich der erkennende Senat an. Das FA ist in diesen Fällen vorrangig nur zu Ermittlungsmaßnahmen im Inland verpflichtet, z.B. durch Nachfragen beim Einwohnermeldeamt und bei Kontaktpersonen des Empfängers. Gleiches gilt, wenn sich der Zustellungsempfänger in einer Weise verhält, die auf seine Absicht schließen lässt, den Aufenthaltsort zu verheimlichen (vgl. Schwarz in HHSp, § 10 VwZG Rz 17).

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bbb) Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Das FA hat trotz der fehlgeschlagenen Zustellung der Bescheide für die Jahre 1999 und 2000 an die Anschrift in M aufgrund der Auskunft des ehemaligen Steuerberaters im Jahr 2002, der Kläger lebe in Spanien, und der Abmeldung des Klägers unter Angabe der Anschrift in M, genügend Anhaltspunkte gehabt, um zumindest von einem fortbestehenden Aufenthalt des Klägers in Spanien auszugehen. Es durfte sich daher nicht wie bei Steuerpflichtigen, die sich „ins Ausland“ ohne eine neue Anschrift abmelden oder flüchtig sind, von vornherein auf inländische Ermittlungsmaßnahmen beschränken.

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cc) Im Streitfall ist somit zu entscheiden, welche konkreten Ermittlungspflichten ein FA vor einer öffentlichen Zustellung hinsichtlich der ausländischen Anschrift eines Steuerpflichtigen hat, wenn es diesen in einem bestimmten Land vermutet und durch Ermittlungsmaßnahmen bei inländischen Behörden und Kontaktpersonen keine weitere Aufklärung erreichen kann. Der Senat ist der Auffassung, dass ein FA in diesem Fall alle objektiv geeignet erscheinenden, rechtlich zulässigen und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten des grenzüberschreitenden Informationsaustausches auszuschöpfen hat. Es muss insbesondere klären, ob ein solcher Informationsaustausch mit Behörden des vermuteten Aufenthaltsstaats möglich ist und an diese ein Auskunftsersuchen richten, um die dortige Anschrift des Steuerpflichtigen zu ermitteln. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat für den Zeitraum vom 3. Februar 1999 bis zum 24. Januar 2006 –und somit für das hier maßgebliche Zustellungsjahr 2003– unter dem 3. Februar 1999 (BStBl I 1999, 228, 974) ein Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Auskunftsaustausch in Steuersachen veröffentlicht (für die Zeit danach BMF-Schreiben vom 25. Januar 2006, BStBl I 2006, 26); in diesem fasst das BMF die wesentlichen Rechtsgrundlagen für Auskunftsersuchen deutscher Finanzämter und das zu beachtende Verfahren zusammen. In Tz. 2.2.4 weist das BMF darauf hin, im Rahmen einer Voranfrage könnten Auskünfte über „Namen, Anschrift oder andere allgemein zugängliche Angaben“ von Steuerpflichtigen in anderen Staaten eingeholt werden (siehe ergänzend hierzu Höppner, in: Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz 137); Anschlussersuchen und Richtigstellungen sind ebenfalls möglich (Tz. 2.2.7 des BMF-Schreibens in BStBl I 1999, 228). Erst wenn feststeht, dass eine Anschriftenermittlung im Wege des grenzüberschreitenden Informationsaustausches entweder nicht möglich oder ein konkretes Auskunftsersuchen fehlgeschlagen ist, darf das FA demnach zur öffentlichen Zustellung übergehen.

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dd) Dem FG ist nach Maßgabe dieser Grundsätze jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen, dass die öffentliche Zustellung im Streitfall unwirksam war.

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aaa) Das FG hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, es sei dem FA möglich und zumutbar gewesen, anknüpfend an die bekannte Anschrift in M bei den dortigen spanischen Meldebehörden zu recherchieren, um die seit Dezember 2001 gültige Anschrift des Klägers in P zu erfahren. Der Senat lässt offen, ob dem zu folgen ist. Es spricht manches dafür, dass die vom FG verlangte direkte Recherche eines deutschen FA bei ausländischen Meldebehörden gegenüber einer Anschriftenermittlung im Wege des grenzüberschreitenden Auskunftsverkehrs von vornherein ein weniger geeignetes Mittel ist, da ein solches Auskunftsersuchen weder auf einer gesicherten Rechtsgrundlage noch auf einem regelmäßig praktizierten Verfahren beruht.

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bbb) Das FA hat im Streitfall mit der Anfrage beim Einwohnermeldeamt und beim Sohn des Klägers im Vorfeld der öffentlichen Zustellung nicht alles Erforderliche getan, weil es vor der öffentlichen Zustellung hätte versuchen müssen, die neue Anschrift des Klägers in P im Wege des grenzüberschreitenden Auskunftsaustausches zu erfahren.


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