Ermittlungspflichten des FA vor einer öffentlichen Zustellung wegen "unbekannten Aufenthaltsorts" (BFH X R 54/06)
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(1) Auf Grundlage der sog. Amtshilferichtlinie (Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern) bestand im Jahr 2003 im Verhältnis zu Spanien eine Rechtsgrundlage für ein solches Auskunftsersuchen. Die Mitgliedstaaten gewähren einander gemäß Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie gegenseitig alle Auskünfte, die für die zutreffende Festsetzung der Steuern vom Einkommen (und damit gemäß Art. 1 Abs. 3 dieser Richtlinie auch bei der Festsetzung der Einkommensteuer) geeignet sein können. Art. 2 dieser Richtlinie ermächtigt auch deutsche Finanzämter dazu, –nach dem im BMF-Schreiben in BStBl I 1999, 228 vorgegebenen Verfahren– ein Auskunftsersuchen an die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaats zu richten. Zu den austauschbaren „Informationen“ in diesem Sinne gehören nach Auffassung des Senats grundsätzlich auch personenbezogene Informationen wie die Anschrift eines im Hoheitsbereich des anderen Mitgliedstaats lebenden Steuerpflichtigen (siehe auch Höppner, in: Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, a.a.O., Art. 26 OECD-MA Rz 307).
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(2) Neben dem Informationsaustausch aufgrund der Amtshilferichtlinie gibt es im Zustellungsjahr 2003 im Verhältnis zu Spanien auch einen abkommensrechtlichen Auskunftsanspruch. Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 5. Dezember 1966 (BGBl II 1968, 9) –DBA Spanien– enthält in Art. 26 Abs. 1 eine sog. „große Auskunftsklausel“, da nicht nur Informationen zur „Durchführung des Abkommens“, sondern auch zur „Durchführung des innerstaatlichen Rechts der Vertragstaaten“ im Wege einer Einzelauskunft ausgetauscht werden können (vgl. Eilers in Debatin/ Wassermeyer MA Art. 26 Rz 24-27, Herlinghaus in Debatin/ Wassermeyer Spanien Art. 26 Rz 3; ausführlich Engelschalk in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 26 Rz 64-67; Höppner, in: Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, a.a.O., Art. 26 DBA Spanien Rz 3 und Art. 26 OECD-MA Rz 187). Informationen im Sinne des Abkommensrechts sind auch die Verhältnisse einer bestimmbaren natürlichen Person (vgl. Höppner, in: Becker/Höppner/Grotherr/ Kroppen, a.a.O., Art. 26 OECD-MA Rz 111). Hierzu gehört nach Ansicht des Senats auch deren Anschrift im anderen Abkommensstaat.
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(3) Das FA hätte demnach vor der öffentlichen Zustellung über das damals zuständige Bundesamt für Finanzen (BfF) an die zuständigen spanischen Behörden ein Auskunftsersuchen oder eine Voranfrage richten müssen, um die Anschrift des Klägers in Spanien zu ermitteln. Das FA hatte aufgrund der ihm vorliegenden Informationen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger tatsächlich noch in Spanien –und nicht in einem dritten Staat– aufhält. Eine Anfrage bei dem BfF wäre im Streitfall zumutbar gewesen, da ein solches Ersuchen über den Dienstweg nach Auffassung des Senats kaum mehr Aufwand erfordert, als eine Anfrage bei einem deutschen Einwohnermeldeamt. Erst wenn das Auskunftsersuchen ergeben hätte, dass die Anschrift des Klägers auch auf diese Weise nicht zu ermitteln gewesen wäre, hätte das FA öffentlich zustellen dürfen.
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b) Zutreffend hat das FG entschieden, dass die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung gemäß Â§ 15 Abs. 1 Buchst. c VwZG a.F. ebenfalls nicht vorlagen.
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aa) Eine Auslandszustellung verspricht nach dieser Regelung keinen Erfolg, wenn sie an sich möglich wäre, ihre Durchführung aber etwa wegen Kriegs, Abbruchs der diplomatischen Beziehungen, Verweigerung der Rechtshilfe oder unzureichender Vornahme durch die örtlichen Behörden nicht zu erwarten ist. Im Streitfall kommt –wie das FG zutreffend erkannt hat– allenfalls das Merkmal in Betracht, dass es bei der Auslandszustellung in Spanien zu einer Verweigerung der Rechtshilfe oder mangelnden Unterstützung örtlicher Behörden gekommen wäre. Unter dieses Merkmal kann nach der Rechtsprechung und dem Schrifttum auch der im Streitfall vorliegende Sachverhalt subsumiert werden, dass ein Zustellungsempfänger im Ausland lebt, sein Aufenthaltsort dort aber unbekannt ist (vgl. BFH-Urteile vom 13. März 1973 VII R 53/70, BFHE 109, 213, BStBl II 1973, 644; Beschluss des Sächsischen FG vom 27. Oktober 2005 3 V 248/05, n.v.; Engelhardt/App, a.a.O., § 10 VwZG Rz 7).
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bb) Die Amtshilferichtlinie vom 19. Dezember 1977 sieht die Zustellungshilfe eines Mitgliedstaats für Steuerbescheide eines anderen Mitgliedstaats im Zustellungsjahr des Streitfalls (2003) noch nicht ausdrücklich vor. Es ist daher davon auszugehen, dass spanische Behörden keine Zustellungshilfe auf dieser Grundlage gewährt hätten. Erst mit der Richtlinie 2004/56/EG des Rates vom 21. April 2004 zur Änderung der Richtlinie 77/799/EWG über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern, bestimmter Verbrauchsteuern und der Steuern auf Versicherungsprämien ist die Amtshilferichtlinie entsprechend erweitert und Art. 8a Abs. 1 eingefügt worden, nachdem auf Antrag die ersuchte Behörde eines anderen Mitgliedstaats Steuerbescheide nach Maßgabe ihres nationalen Rechts in ihrem Hoheitsgebiet zustellt.
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cc) Auf der Grundlage des Art. 26 DBA Spanien wurde im Jahr 2003 ebenfalls keine Zustellungshilfe durch spanische Behörden gewährt, allerdings hat Spanien keine Einwände gegen Zustellungen durch ausländische Auslandsvertretungen (hier: gemäß Â§ 14 VwZG a.F.) auf seinem Territorium erhoben (vgl. Höppner, in: Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, a.a.O., Art. 26 DBA Spanien Rz 1 und Art. 26 OECD-MA Rz 31; Engelschalk in Vogel/ Lehner, a.a.O., Art. 26 Rz 9).
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dd) Demnach konnten im Jahr 2003 deutsche Steuerbescheide in Spanien nur über die deutschen Auslandsvertretungen gemäß Â§ 14 VwZG a.F. zugestellt werden. Wenn das Aufenthaltsland des Zustellungsempfängers bekannt, die konkrete Anschrift dort aber nicht bekannt war, war eine Auslandszustellung gemäß Â§ 14 VwZG a.F. i.S. des § 15 Abs. 1 Buchst. c VwZG a.F. unausführbar, wenn mindestens ein zeitnaher gescheiterter Zustellungsversuch vorlag (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 109, 213, BStBl II 1973, 644; Beschluss des Sächsischen FG vom 27. Oktober 2005 3 V 248/05, n.v.). Das FG hat für den Senat bindend festgestellt, dass das FA für den Einkommensteuerbescheid des Streitjahres überhaupt keinen förmlichen Zustellungsversuch gemäß Â§ 14 VwZG a.F. in Spanien unternommen hat.
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