Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gekippt
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Datensicherheit:
Es fehlt schon an der gebotenen Gewährleistung eines besonders hohen
Standards hinsichtlich der Datensicherheit. Das Gesetz verweist im
Wesentlichen nur auf die im Bereich der Telekommunikation allgemein
erforderliche Sorgfalt (§ 113a Abs. 10 TKG) und relativiert dabei die
Sicherheitsanforderungen in unbestimmt bleibender Weise um allgemeine
Wirtschaftlichkeitserwägungen im Einzelfall (§ 109 Abs. 2 Satz 4 TKG).
Dabei bleibt die nähere Konkretisierung der Maßnahmen den einzelnen
Telekommunikationsdienstleistern überlassen, die ihrerseits die Dienste
unter den Bedingungen von Konkurrenz und Kostendruck anbieten müssen.
Den Speicherungspflichtigen sind insoweit weder die von den
Sachverständigen im vorliegenden Verfahren nahegelegten Instrumente zur
Gewährleistung der Datensicherheit (getrennte Speicherung, asymmetrische
Verschlüsselung, Vier-Augen-Prinzip verbunden mit fortschrittlichen
Verfahren zur Authentifizierung für den Zugang zu den Schlüsseln,
revisionssichere Protokollierung von Zugriff und Löschung) durchsetzbar
vorgegeben, noch ist ein vergleichbares Sicherheitsniveau anderweitig
garantiert. Auch fehlt es an einem ausgeglichenen Sanktionensystem, das
Verstößen gegen die Datensicherheit kein geringeres Gewicht beimisst als
Verstößen gegen die Speicherungspflichten selbst.
Unmittelbare Verwendung der Daten zur Strafverfolgung:
Mit den aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entwickelten Maßstäben
unvereinbar sind auch die Regelungen zur Verwendung der Daten für die
Strafverfolgung. § 100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO stellt nicht sicher,
dass allgemein und auch im Einzelfall nur schwerwiegende Straftaten
Anlass für eine Erhebung der entsprechenden Daten sein dürfen, sondern
lässt unabhängig von einem abschließenden Katalog generell Straftaten
von erheblicher Bedeutung genügen. Erst recht bleibt § 100g Abs. 1 Satz
1 Nr. 2, Satz 2 StPO hinter den verfassungsrechtlichen Maßgaben zurück,
indem er unabhängig von deren Schwere jede mittels Telekommunikation
begangene Straftat nach Maßgabe einer allgemeinen Abwägung im Rahmen
einer Verhältnismäßigkeitsprüfung als möglichen Auslöser einer
Datenabfrage ausreichen lässt. Mit dieser Regelung werden die nach §
113a TKG gespeicherten Daten praktisch in Bezug auf alle
Straftatbestände nutzbar. Ihre Verwendung verliert damit angesichts der
fortschreitenden Bedeutung der Telekommunikation im Lebensalltag ihren
Ausnahmecharakter. Der Gesetzgeber beschränkt sich hier nicht mehr auf
die Verwendung der Daten für die Verfolgung schwerer Straftaten, sondern
geht hierüber und damit auch über die europarechtlich vorgegebene
Zielsetzung der Datenspeicherung weit hinaus.
Nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht § 100g StPO
auch insoweit, als er einen Datenabruf nicht nur für richterlich zu
bestätigende Einzelfälle, sondern grundsätzlich auch ohne Wissen des
Betroffenen zulässt (§ 100g Abs. 1 Satz 1 StPO).
Demgegenüber sind die gerichtliche Kontrolle der Datenabfrage und
Datennutzung sowie die Regelung der Benachrichtigungspflichten im
Wesentlichen in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen
entsprechenden Weise gewährleistet. Die Erhebung der nach § 113a TKG
gespeicherten Daten bedarf gemäß Â§ 100g Abs. 2 Satz 1, § 100b Abs. 1
Satz 1 StPO der Anordnung durch den Richter. Des Weiteren bestehen gemäß
§ 101 StPO differenzierte Benachrichtigungspflichten sowie die
Möglichkeit, nachträglich eine gerichtliche Ãœberprüfung der
Rechtmäßigkeit der Maßnahme herbeizuführen. Dass diese Vorschriften
einen effektiven Rechtsschutz insgesamt nicht gewährleisten, ist nicht
ersichtlich. Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist hingegen das Fehlen
einer richterlichen Kontrolle für das Absehen von einer Benachrichtigung
gemäß Â§ 101 Abs. 4 StPO. Unmittelbare Verwendung der Daten für die
Gefahrenabwehr und für die Aufgaben der Nachrichtendienste:
§ 113b Satz 1 Nr. 2 und 3 TKG genügt den Anforderungen an eine
hinreichende Begrenzung der Verwendungszwecke schon seiner Anlage nach
nicht. Der Bundesgesetzgeber begnügt sich hier damit, in lediglich
generalisierender Weise die Aufgabenfelder zu umreißen, für die ein
Datenabruf nach Maßgabe späterer Gesetzgebung, insbesondere auch der
Länder, möglich sein soll. Damit kommt er seiner Verantwortung für die
verfassungsrechtlich gebotene Begrenzung der Verwendungszwecke nicht
nach. Vielmehr schafft der Bundesgesetzgeber durch die Pflicht der
Diensteanbieter zur vorsorglichen Speicherung aller
Telekommunikationsverkehrsdaten, verbunden gleichzeitig mit der Freigabe
dieser Daten für die Verwendung durch die Polizei und die
Nachrichtendienste im Rahmen annähernd deren gesamter Aufgabenstellung,
ein für vielfältige und unbegrenzte Verwendungen offenen Datenpool, auf
den nur durch grobe Zielsetzungen beschränkt jeweils aufgrund eigener
Entscheidungen der Gesetzgeber in Bund und Ländern zugegriffen werden
kann. Die Bereitstellung eines solchen seiner Zwecksetzung nach offenen
Datenpools hebt den notwendigen Zusammenhang zwischen Speicherung und
Speicherungszweck auf und ist mit der Verfassung nicht vereinbar.
Die Ausgestaltung der Verwendung der nach § 113a TKG gespeicherten Daten
ist auch insoweit unverhältnismäßig, als für die Ãœbermittlung keinerlei
Schutz von Vertrauensbeziehungen vorgesehen ist. Zumindest für einen
engen Kreis von auf besondere Vertraulichkeit angewiesenen
Telekommunikationsverbindungen ist ein solcher Schutz grundsätzlich
geboten.
Mittelbare Nutzung der Daten für Auskünfte der Diensteanbieter:
Nicht in jeder Hinsicht genügt auch § 113b Satz 1 Halbsatz 2 TKG den
verfassungsrechtlichen Anforderungen. Zwar begegnet es keinen Bedenken,
dass nach dieser Vorschrift Auskünfte unabhängig von einem Straftaten
oder Rechtsgüterkatalog zulässig sind. Nicht mit der Verfassung zu
vereinbaren ist demgegenüber, dass solche Auskünfte ohne weitere
Begrenzung auch allgemein für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten
ermöglicht werden. Auch fehlt es an Benachrichtigungspflichten im
Anschluss an solche Auskünfte.
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