Grundsteuerpflicht bei Ausführung von Hoheitsaufgaben durch private Unternehmer (BFH II R 29/08)
Grundbesitz der öffentlichen Hand ist nicht nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrStG von der Grundsteuer befreit, wenn er zur Durchführung hoheitlicher Aufgaben einem privaten Unternehmer überlassen wird.
GrStG § 3
Urteil vom 16. Dezember 2009 II R 29/08
Vorinstanz: FG Bremen vom 16. April 2008 3 K 33/07 (5) (EFG 2008, 1657)
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Gründe
I.
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Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) verpflichtete sich gegenüber der Stadt … (Stadt) im „Vertrag über die Durchführung von Aufgaben der Abwasserbeseitigung“ vom 21. Dezember 1998, „im Entwässerungsgebiet alle anfallenden Aufgaben der Abwasserbeseitigung wahrzunehmen“ (§ 2 des Vertrags). Die Stadt räumte hierfür der Klägerin zum 1. Januar 1999 für 30 Jahre das Erbbaurecht an einem ihr gehörenden Grundstück ein, auf dem sich Gebäude und Anlagen zur Abwasserbeseitigung befanden. Die Klägerin ist eine GmbH, an der die Stadt zu 25,1 v.H. und eine weitere GmbH beteiligt sind.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) stellte gegen die Klägerin mit Bescheid vom 2. Februar 2005 im Wege der Nachfeststellung auf den 1. Januar 1999 den Einheitswert für das mit dem Erbbaurecht belastete Grundstück in Höhe von 125.164 € fest. Mit Bescheid vom gleichen Tag setzte er einen gemeinsamen Grundsteuermessbetrag für das belastete Grundstück und das Erbbaurecht im Wege der Nachveranlagung auf den 1. Januar 1999 von 2.920,68 € fest.
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Einspruch und Klage gegen die beiden Bescheide, mit denen die Klägerin die Steuerbefreiung des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Grundsteuergesetzes (GrStG) beanspruchte, blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte aus, es fehle an der erforderlichen Identität von Grundstückseigentümer und unmittelbar Nutzendem. Eigentümerin des belasteten Grundstücks sei die Stadt. Das Grundstück werde jedoch von der Klägerin und nicht von der Stadt unmittelbar genutzt. Denn die Bestellung des Erbbaurechts durch die Stadt stelle keine tatsächliche Benutzung des belasteten Grundstücks dar, sondern sei erst auf die Ãœbertragung der Nutzungsrechte im Sinne der tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten gerichtet. Die Vorentscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 1657 veröffentlicht.
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Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrStG. Grundstückseigentümer und unmittelbar Nutzender seien identisch, denn der Stadt sei die Abwasserbeseitigung nach wie vor gesetzlich als Pflichtaufgabe zugewiesen. Sie habe ihr, der Klägerin, das Grundstück in Ausübung dieser hoheitlichen Aufgabe überlassen. Der Stadt sei die Inanspruchnahme eines Privaten zur Abwasserbeseitigung als eigene Aufgabenwahrnehmung zuzurechnen. Die Versagung der Steuerbefreiung bei funktionaler Privatisierung von hoheitlichen Aufgaben würde zudem gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes –GG–) verstoßen.
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Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und den Einheitswertbescheid für das mit dem Erbbaurecht belastete Grundstück vom 2. Februar 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. März 2007 aufzuheben sowie den Grundsteuermessbescheid vom 2. Februar 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. März 2007 dahin abzuändern, dass nur noch der auf das Erbbaurecht entfallende Einheitswert berücksichtigt wird.
6
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
7
Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Recht entschieden, dass das mit dem Erbbaurecht belastete Grundstück nicht gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrStG von der Grundsteuer befreit ist.
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1. Ist ein Grundstück mit einem Erbbaurecht belastet, bilden das mit dem Erbbaurecht belastete Grundstück einerseits und das Erbbaurecht andererseits bewertungsrechtlich zwei selbständige Grundstücke, die je für sich der Grundsteuer unterliegen (§ 2 Nr. 2 GrStG i.V.m. § 68 Abs. 1 Nr. 1 und 2 sowie § 70 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes –BewG–). Beträgt die Dauer des Erbbaurechts wie im Streitfall weniger als 50 Jahre, ist zur Feststellung der jeweiligen Einheitswerte der Gesamtwert des belasteten Grundstücks einschließlich der Gebäude und Außenanlagen entsprechend der restlichen Dauer des Erbbaurechts aufzuteilen (§ 92 Abs. 3 BewG) und der Berechnung des Steuermessbetrags die Summe der beiden Einheitswerte zugrunde zu legen (§ 13 Abs. 3 GrStG). Schuldner der Grundsteuer sowohl für das belastete Grundstück als auch für das Erbbaurecht ist der Erbbauberechtigte (§ 10 Abs. 2 GrStG). Diese Zusammenführung der Steuerschuldnerschaft für das belastete Grundstück und das Erbbaurecht ändert jedoch nichts daran, dass bei der Anwendung des Grundsteuergesetzes und hier insbesondere bei den Steuerbefreiungen von zwei wirtschaftlichen Einheiten auszugehen ist, wobei im Streitfall nur noch das belastete Grundstück zu beurteilen ist.
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2. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrStG ist Grundbesitz von der Grundsteuer befreit, der von einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts für einen öffentlichen Dienst oder Gebrauch in dem durch § 3 Abs. 2 und 3 GrStG umschriebenen Sinn benutzt wird. Der Grundbesitz muss dabei nach § 3 Abs. 1 Satz 2 GrStG ausschließlich demjenigen, der ihn für den begünstigten Zweck benutzt, oder einem anderen nach den Nummern 1 bis 6 begünstigten Rechtsträger zuzurechnen sein. Für alle Befreiungstatbestände der §§ 3 und 4 GrStG verlangt § 7 Satz 1 GrStG zudem eine unmittelbare Nutzung für den steuerbegünstigten Zweck.
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Das Grundsteuergesetz befreit damit weder allgemein Grundbesitz der juristischen Personen des öffentlichen Rechts noch allgemein die hoheitliche Nutzung von Grundbesitz. Es knüpft vielmehr ausdrücklich an das formale Kriterium der Rechtsträgeridentität von Eigentümer des Grundstücks und (unmittelbar) Nutzendem an (vgl. zu demselben Erfordernis der Rechtsträgeridentität nach § 4 Nr. 6 Satz 2 GrStG: Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 9. Oktober 1970 III R 2/69, BFHE 100, 415, BStBl II 1971, 63; vom 4. Februar 1987 II R 216/84, BFHE 149, 262, BStBl II 1987, 451; vom 9. Dezember 1987 II R 223/83, BFHE 152, 149, BStBl II 1988, 298; vom 28. Februar 1996 II R 26/94, BFH/NV 1996, 790; vom 26. Februar 2003 II R 64/00, BFHE 201, 315, BStBl II 2003, 485; vom 25. April 2007 II R 14/06, BFH/NV 2007, 1924; Begründung zum Grundsteuergesetz vom 1. Dezember 1936, RStBl 1937, 717, 718 ff.).
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