Jahressteuergesetz 2008 am Rande der Rechtsstaatlichkeit
Unter dem Deckmantel der Missbrauchsbekämpfung will sich das Bundesfinanzministerium neue Waffen beschaffen. „Da kommt auf alle Steuerpflichtigen ein neues Horrorszenarium zu, das nur noch schwer mit den Prinzipien des Rechtsstaats zu vereinbaren ist“, warnt Jürgen Pinne, der Präsident des Deutschen Steuerberaterverbandes (DStV e.V.)
Ursache der Befürchtungen Pinnes ist das Jahressteuergesetz 2008, für das das Bundesfinanzministerium vor wenigen Tagen einen Referentenentwurf vorgelegt hat. Darin ist vorgesehen, Paragraph 42 der Abgabenordnung, der ursprünglich – ausweislich seiner bisherigen Ãœberschrift – gegen den „Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten“ gerichtet war, grundlegend zu ändern und damit radikal zu verschärfen. Künftig soll sich Paragraph 42 der Abgabenordnung gegen „Steuergestaltungen“ (so die neue Ãœberschrift) schlechthin richten. Dem fiskalischen Frontalangriff entgehen, könnte der Steuerpflichtige künftig nur, wenn er für eine zu einem Steuervorteil führende rechtliche Gestaltung „beachtliche außersteuerliche Gründe nachweist“. Ansonsten solle er so besteuert werden, wie der Gesetzgeber dies bei seiner Regelung vorausgesetzt habe. Dies ist jedoch regelmäßig Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten. Ein regelrechtes Eigentor schießt die Begründung des Referentenentwurfs, wenn sie darauf hinweist, dass der Gesetzgeber „bei der Schaffung einer Norm nicht alle theoretisch denkbaren Gestaltungen zur Verfolgung der Ziele berücksichtigen“ könne. Die Neufassung des Paragraphen 42 AO wäre aber nur dann wirklich anwendbar, wenn der Gesetzgeber mit jeder Steuernorm in hellseherischer Omnipotenz eine Bewertung aller theoretisch denkbaren Gestaltungen mitliefern würde.
Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs soll Paragraph 42 in seiner Neufassung anzuwenden sein, „wenn die Möglichkeit der Auslegung einer materiellen Steuernorm endet“. Gerade im sogenannten Eingriffsrecht, mit dem der Staat dem Bürger Belastungen auferlegt und zu dem gerade auch das Steuerrecht gehört, muss jedoch die Grenze der Auslegung auch die Grenze der Belastung sein. Darüber hinauszugehen, kann nur in den eng begrenzten Ausnahmefällen des wirklichen Missbrauchs gerechtfertigt sein. Auf den Missbrauch soll es aber nach der Intention des Referentenentwurfs gerade nicht mehr ankommen.
Pinne bemängelt außerdem: „Der Referentenentwurf gibt vor, dass Rechtssicherheit nur durch die Neufassung von Paragraph 42 der Abgabenordnung hergestellt werden könne. In Wirklichkeit wird jede Rechtssicherheit beseitigt.“ Die Neufassung stellt die grundgesetzlich geschützte wirtschaftliche Betätigungsfreiheit unter den Vorbehalt der Anerkennung durch den jeweiligen Sachbearbeiter im Finanzamt. Wenn diesem die tatsächlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen nicht gefallen, so soll es zwischen ihm und dem Steuerpflichtigen – unter der Voraussetzung der Einwilligung des Bundesministeriums der Finanzen – zu einer Verständigungsvereinbarung kommen können, sofern der Nachweis beachtlicher außersteuerlicher Gründe „schwierig“ ist. Wann aber ist was für wen „schwierig“? Schwierig für den frisch examinierten Sachbearbeiter? Schwierig für den gewieften Betriebsprüfer? Schwierig für den Richter am Bundesfinanzhof oder am Bundesverfassungsgericht?
Die Neufassung des Paragraphen 42 der Abgabenordnung würde alle Steuerpflichtigen dazu zwingen, jedes steuerlich relevante Vorhaben vorab im Wege einer – neuerdings kostenpflichtigen – verbindlichen Auskunft klären zu lassen. Schnelle wirtschaftliche Entscheidungen wären damit kaum noch möglich.
Es scheint an der Zeit, über ein Verbot des Missbrauchs von Referentenentwürfen nachzudenken, auch wenn das schwierig wird.
Ansprechpartner:
RA/StB Roland Franke
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