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Löschen – und zwar sofort



Ulm (ots) – Löschen – und zwar sofort. Derart praktische Anweisungen gibt das Bundesverfassungsgericht nicht alle Tage.


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Doch in ihrem gestrigen Urteil, das die Vorratsdatenspeicherung für grundgesetzwidrig erklärt, unterstrichen die Richter mit dieser Vorgabe, welch große Bedeutung sie Datenschutz und Privatsphäre zumessen. Zugleich straften sie all jene Lügen, die eine Entscheidung im „Ja – aber“-Stil erwartet hatten. Diese Deutlichkeit ist eine Absage an einen überbordenden Präventionsstaat und ein Erfolg für all jene, die in Zeiten tatsächlicher und angeblicher Bedrohungen darauf beharren, über Jahrhunderte erkämpfte Freiheitsrechte nicht auf dem Altar einer doch nie zu erfüllenden Sicherheitsillusion zu opfern. Die Entscheidung ist eine Klatsche für den ehemaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, der sich nur aufgrund seines Wechsels ins Finanzressort nun nicht mit der Frage beschäftigen muss, ob er zurücktreten soll.


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Schließlich ist der Richterspruch – und vor allem seine Begründung – Nachhilfeunterricht nicht zuletzt für den Bundestag, der das Paket einst abgenickt hat. Denn Vorschläge, wie sich das Gesetz besser und vor allem verfassungskonform hätte ausgestalten lassen, hat das Gericht gleich mitgeliefert. Seit gestern ist einmal mehr klar: Wer glaubt, mit der ebenso strapazierten wie schönfärberischen Formel von der „Balance zwischen Freiheit und Sicherheit“ das Gewicht einseitig zulasten der Bürgerrechte verschieben zu können, scheitert – zumindest wenn er sich solch grober juristischer Strickmuster bedient, wie es der deutsche Gesetzgeber bei der Vorratsdatenspeicherung getan hat. Angst ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber und so bedürfen – auch das lässt sich aus dem Urteil herauslesen – tiefe Eingriffe in die Freiheit der Bürger stichhaltiger Begründungen. Mehr also, als in den Raum gestellte Behauptungen, die Speicherung sei zur Terrorabwehr notwendig oder schwammig gefasste Befugnisse für Strafverfolger oder Geheimdienste. Doch auch die Gegner der Speicherung werden sich das Urteil genau ansehen müssen. Ihr Sieg über die „Datenkrake“ ist nicht so uneingeschränkt, wie sie es hartnäckig im Internet verbreiteten. Denn das Gericht hat die Speicherung nicht in jeder Form abgelehnt und schon gar nicht den Stab über der EU gebrochen, auf deren Richtlinie die Sammlung der Daten zurückgeht. Und ebensowenig mochten die Richter den im Vorfeld vorgebrachten Bedenken folgen, künftig würden geheimdienstliche Auswertemethoden auf die Gesamtbevölkerung angewandt. Allerdings hat zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit eine zumindest auch über das Internet organisierte Massenbewegung erfolgreich obrigkeitliche Eingriffe in den Fernmeldebereich abgewehrt: Von Ursula von der Leyens Gesetz zur Einführung von Internetsperren haben nach massiven Protesten der Netzgemeinde und der größten Petition aller Zeiten an den Bundestag mittlerweile fast alle Parteien eindeutig Abstand genommen; Bald nach der Bundestagswahl waren plötzlich auch sie von der Nutzlosigkeit des Gesetzes überzeugt. Gegen die Vorratsdatenspeicherung gingen mehr als 34 000 Beschwerden ein, ebenfalls massiv begleitet aus den Reihen derer, für die das Internet fest zur Lebenswelt gehört.


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Je öfter die Parteien stümperhaft und bar technischer Kenntnisse Gesetze auf den Weg bringen, deren Folgen auf freie und unbefangene Kommunikation sie nicht abschätzen können – oder wollen -, desto mehr laufen sie Gefahr, die wachsende Generation netzaffiner Menschen zu verprellen, die sich von ihnen abzuwenden beginnt. Die Piratenpartei, das sollte zu denken geben, hat ihren Aufstieg nicht zuletzt dieser Inkompetenz der Etablierten zu verdanken.

Südwest Presse: Kommentar zur Vorratsdatenspeicherung



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