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Umsatzsteuervergütung aus Tätigkeit des Insolvenzschuldners nicht gegen vorinsolvenzliche Steuerschulden aufrechenbar (BFH VII R 18/09)


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Ein vom Schuldner während des Insolvenzverfahrens im Zusammenhang mit einer freiberuflichen Tätigkeit erlangter Umsatzsteuervergütungsanspruch fällt in die Insolvenzmasse, wenn er nicht vom Insolvenzverwalter freigegeben worden ist; das gilt auch bei Nutzung und Verwertung ausschließlich unpfändbarer Gegenstände des Vermögens des Schuldners.

InsO §§ 35, 96 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 811 Abs. 1
Urteil vom 15. Dezember 2009 VII R 18/09
Vorinstanz: FG Mecklenburg­Vorpommern vom 26. Februar 2009 2 K 126/07 (EFG 2009, 1185)

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Gründe

I.
1
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Verwalter in dem im Juli 2002 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Herrn L. Mit Zustimmung des Klägers hat der Schuldner nach Eröffnung des Verfahrens seine selbstständige Berufstätigkeit als … wieder aufgenommen. Die von ihm für 2004 eingereichte Umsatzsteuererklärung, welcher der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) zugestimmt hat, weist einen Vergütungsbetrag von … € aus. Diesen Betrag hat das FA auf rückständige Einkommensteuer des Schuldners für 1996 umgebucht und dem Kläger darüber eine Umbuchungsmitteilung erteilt. Als dieser der Umbuchung widersprach, weil er meint, das Guthaben sei an die Masse auszukehren gewesen, hat das FA einen Abrechnungsbescheid erlassen, gegen den sich die Klage richtet. Dieser hat das Finanzgericht (FG) nach erfolglosem Einspruchsverfahren stattgegeben. Es urteilte, der Aufrechnung des FA stehe das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) entgegen, weil das FA nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Erstattungsbetrag zur Insolvenzmasse schuldig geworden sei. Der Vorsteueranspruch gehöre entgegen der Auffassung des FA zur Insolvenzmasse.

2
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des FA. Es meint, Umsatzsteuererstattungsansprüche aus einer Tätigkeit, die mit unpfändbaren, mithin nicht zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenständen ausgeführt worden ist, fielen nicht in die Insolvenzmasse. Auch sei es unbillig, wenn einerseits nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs –BFH– (Hinweis auf das Urteil vom 7. April 2005 V R 5/04, BFHE 210, 156, BStBl II 2005, 848) von dem Schuldner begründete Umsatzsteuerschulden keine Masseverbindlichkeit darstellten und daher nicht beitreibbar seien, andererseits aber die Aufrechnung gegen in dem insolvenzfreien Bereich entstandene Guthaben ausgeschlossen werde. Die Auffassung des FG widerspreche auch der Intention des Gesetzgebers bei Neufassung des § 35 Abs. 2 InsO durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens (Hinweis auf BTDrucks 16/3227, S. 17).

II.
3
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das Urteil des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).

4
1. Eine Aufrechnung ist unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Zur Insolvenzmasse gehört nach § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt, also auch eine nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner erworbene Forderung. Das gilt insbesondere auch für Steuererstattungs- und Steuervergütungsansprüche, bei denen gemäß Â§ 46 Abs. 1 der Abgabenordnung der Vorbehalt des § 36 Abs. 1 InsO von vornherein nicht eingreifen kann.

5
a) Nach § 35 Abs. 2 InsO hat der Insolvenzverwalter allerdings, wenn der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit ausübt oder beabsichtigt, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, gegenüber dem Schuldner zu erklären, ob Vermögen aus dieser selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehören soll und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Gibt der Insolvenzverwalter nicht die Erklärung ab, dass Vermögen aus jener Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehören soll (sog. Freigabe), das betreffende Vermögen also vom Insolvenzbeschlag frei sein soll, fallen die vom Schuldner durch die betreffende Tätigkeit neu erworbenen Forderungen in die Insolvenzmasse. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO steht dann einer Aufrechnung mit den vorinsolvenzlichen Schulden des Insolvenzschuldners entgegen.

6
§ 35 Abs. 2 InsO ist indes im Streitfall noch nicht anzuwenden, weil er erst ab dem 1. Juli 2007 gilt (Art. 6 des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, BGBl I 2007, 509). Allerdings kannte auch das bis dahin geltende Insolvenzrecht das (im Wesentlichen richterrechtlich entwickelte) Institut der Freigabe (vgl. statt aller Bundesgerichtshof –BGH–, Urteil vom 1. Februar 2007 IX ZR 178/05, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2008, 77). Eine solche Freigabe ist jedoch im Streitfall, wie das FG erkannt hat, nicht erfolgt. Feststellungen, die Anlass geben könnten, von einer Freigabe durch die künftige freiberufliche Tätigkeit des Schuldners erworbener Vermögensgegenstände auszugehen, sind nicht getroffen. Die vom FG festgestellte „Zustimmung“ des Insolvenzverwalters, dass der Schuldner seine freiberufliche Tätigkeit während des Insolvenzverfahrens fortsetzt bzw. wieder aufnimmt, ist keine „Freigabe“. Eine Freigabe eines zur Masse gehörenden bzw. künftig in diese fallenden Vermögensgegenstandes und dessen Ãœberführung in das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners setzt eine Willenserklärung des Insolvenzverwalters voraus, aus welcher sich unmissverständlich dessen Wille zu einem dauernden Verzicht auf die Massezugehörigkeit ergibt (vgl. BGH-Urteil vom 7. Dezember 2006 IX ZR 161/04, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2007, 845). Dafür ist nichts festgestellt oder auch nur geltend gemacht.

7
b) Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, also nicht pfändbar sind, und von deren Nutzung durch den Schuldner das FG ausgegangen ist, gehören nach § 36 Abs. 1 InsO zwar von vornherein nicht zur Insolvenzmasse; ihre Nutzung oder Verwertung beim Neuerwerb schließt jedoch dessen Zuordnung zur Insolvenzmasse nicht aus, was sich unter der Geltung des § 35 Abs. 2 InsO unschwer aus Wortlaut und Sinn dieser Vorschrift folgern lässt, aber auch für das hier noch anzuwendende alte Recht nicht anders zu beurteilen ist. Auch dieses wollte den Neuerwerb im Interesse der Insolvenzgläubiger umfassend zur Masse ziehen, so dass nur ein Verzicht des Insolvenzverwalters hierauf den Insolvenzbeschlag aufheben bzw. verhindern konnte.

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